Die Chorknaben
Papageiengesicht, der sogar noch zerbrechlicher wirkte als Oscar Mobley und offensichtlich nicht gerade eine Kämpfernatur war, da Mrs. Jasper vermutlich sogar an einem schlechten Tag Oscar Mobley und Mr. Jasper gleichzeitig in die Tasche gesteckt hätte.
»Ja, wir wissen über Oscar bereits Bescheid«, nickte Sam Niles.
»Na ja, er hat also wieder mit der Pinselei angefangen«, fuhr Mr. Jasper fort. »Ansonsten hat er das ja jetzt schon drei, vier Monate bleibenlassen. Aber er hat nie jemandem hier in der Straße verraten, warum er eigentlich seinen Wagen immer rot streicht, obwohl wir ihn sicher schon tausendmal gefragt haben. Wenn man ihn deswegen anspricht, lächelt er einfach nur und pinselt weiter, ohne eine Antwort zu geben. Na ja, und heute abend hat er wieder damit angefangen, obwohl ihm der Richter das damals ausdrücklich verboten hat; er hat angefangen, die Scheinwerfer und die Fenster rot zu streichen, worauf meine Frau auf die Veranda ist und ihn gefragt hat, warum er das macht.«
»Sonst habe ich nichts getan, und dieser verrückte …«
»Bitte, Ma'am, alle der Reihe nach«, unterbrach Harold sie. »Na ja, mein kleines Frauchen geht also aus dem Haus und sieht Oscar dort unter der Straßenlaterne, wie er alles rot anmalt, und sie fragt ihn, warum er das tut, worauf er etwas antwortet, was sie nicht verstanden hat. Jedenfalls denkt sie, sie käme vielleicht endlich mal dem Geheimnis auf die Spur, weshalb Oscar Mobley seinen Wagen immer rot anstreicht, und geht auf ihn zu …«
»Aus reiner Neugier«, fügte Mrs. Jasper hinzu. »Ja, aus reiner Neugier«, bestätigte Mr. Jasper. »Und als sie näher rankommt, sagt sie zu ihm: ›Oscar, warum malen Sie diesen Wagen eigentlich immer rot an?‹ Darauf hat er erst mal kein Wort gesagt. Und dann hat er es getan.«
»Was hat er getan?« wollte Harold wissen.
» Mich rot angemalt!« platzte Mrs. Jasper heraus. »Dieser windige, kleine Schuft hat mich rot angepinselt. Er hat mir den Pinsel in den Mund gesteckt, so daß ich keine Luft mehr bekam. Und er hat mein Haar und meinen Hals und meine Arme angemalt. Wenn ich vor Überraschung nicht völlig baff gewesen wäre, hätte ich diesen Schuft glatt zu Brei geschlagen, aber schon nach wenigen Augenblicken konnte ich vor lauter Farbe in meinen Augen nichts mehr sehen. Da habe ich mich umgedreht und bin nach Hause gerannt, und er ist mir nach, und wissen Sie, wo er mich dann mit Farbe bekleckert hat, auf meinem … auf meinem …«
»Auf ihrem Hintern«, kam ihr Mr. Jasper zu Hilfe.
»Ja, nicht einmal davor hat dieser unverschämte Kerl halt gemacht, und ich mußte mir die Farbe so lange von der Haut schrubben, daß sie schon fast mit abgegangen wäre. Sehen Sie sich das mal an!« Harold richtete den Strahl seiner Taschenlampe auf Mrs. Jaspers' Hals, um sie nicht zu blenden; und ihre Haut war tatsächlich fleckig und gerötet wie ein Granatapfel.
»Langsam wird es wirklich Zeit, daß wegen Oscar etwas unternommen wird«, seufzte Sam Niles, woraufhin er und Harold ihre Knüppel holten, sie in die Halterungen an ihren Gürteln steckten und sich auf die Suche nach Oscar Mobley machten. Wie Sam erwartet hatte, öffnete ihnen Oscar Mobley nicht, als er gegen die Tür klopfte und klingelte.
»Es ist nicht abgeschlossen«, sagte Harold, während er am Türknopf der Eingangstür des kleinen Dreizimmerhauses drehte, in dem Oscar zusammen mit zwei Katzen und einem Goldfisch lebte.
Achselzuckend entsicherte Sam seinen Revolver, und auch Harold Bloomguard fingerte an seinem Halfter herum. Die beiden Polizisten betraten die dunkle Küche und schlichen auf Zehenspitzen durch den schmalen Korridor zu dem winzigen Schlafzimmer, in dem eine Lampe brannte.
Als erster trat Sam ein, seinen Revolver in der Hand, und er sagte ganz ruhig: »Wenn Sie hier drinnen sind, Mister Mobley, dann kommen Sie jetzt bitte raus. Wir sind von der Polizei und hätten gern mit Ihnen gesprochen. Wir tun Ihnen nichts. Kommen Sie raus.« Als keine Antwort kam, trat Sam vollends in den Raum, wo er nichts sah außer einem ungemachten Bett, einer Kiste mit Katzenstreu, einem wackligen Nachttisch mit einem alten Radio darauf, einem Haufen schmutziger Wäsche auf dem Boden und einem abgenutzten Sessel.
Sam wollte schon unter dem Bett nachsehen, als er und Harold fast zu Tode erschrocken wären. Oscar Mobley sprang nämlich plötzlich völlig nackt und am ganzen Körper rot bemalt mit ausgestreckten Armen hinter dem alten Sessel
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