Die Chorknaben
zu überlegen, wie ich die Bürger, die Anzeige erstatten, zufriedenstellen kann und gleichzeitig meine Leute davor bewahre, daß ihnen was zustößt. Ich weiß zwar, daß die meisten Kontrollbeamten von der Sitte in diesem Punkt nicht unbedingt meiner Meinung sind, aber ich finde es trotzdem 'ne ganz gute Methode, 'ne Abteilung bei der Sitte zu leiten.«
»Das finde ich allerdings auch«, grinste Baxter Slate und kurbelte das Fenster herunter, um etwas Rauch entweichen zu lassen.
»Der Grund, weshalb wir heute in diesem Kaufhaus vorbeischauen müssen, ist, daß die bis neun Uhr offen haben. Und so 'n Schwuler hat dort vor ein paar Wochen auf dem Klo einen Typen angemacht und ihm zehn Dollar angeboten, wenn er ihm einen runterholen darf. Der hat sich auch darauf eingelassen, nur hat der Schwule dann kein Geld gehabt. Und um sich ein paar ordentliche Dellen in seiner Rübe zu ersparen, hat er sich bereit erklärt, dem anderen seine Kreditkarte zur Verfügung zu stellen, daß er sich für zehn Dollar was kaufen kann. Der hat sich dann allerdings 'nen Anzug für hundert Dollar gekauft und hat dem Schwulen gesagt, wenn er den Scheck nicht unterschreibt, würde er mit seinen Stiefeln auf seiner Rübe ein bißchen Tango üben. Also kommt dieser Schwule zu uns und erstattet gegen seinen Cowboy Anzeige. Und ich sage zu den Jungs auf der Wache, dabei handelt es sich doch um Erpressung, vielleicht auch um Kreditkartenbetrug; das geht uns nichts an; das ist euer Bier. Aber unser Captain meint: ›Ich finde, Sie besorgen sich besser einen Drei-Achtzehner, Sergeant, und lassen Ihre Leute eine Verhaftung vornehmen.‹ Wißt ihr, er sagt nämlich immer Sergeant zu mir, wenn er schlecht gelaunt ist, was er im übrigen meistens ist. Jedenfalls müssen wir uns heute abend auf die Lauer legen in diesem Scheißhaus, und ich kann nur hoffen, daß wir heute abend Erfolg haben, damit ich diese Anzeige zu den Akten legen kann. Ich bin nicht gerade erpicht darauf, meine Leute in diesem Scheißgestank herumsitzen zu lassen.« Wenige Minuten später holperte der klapprige Dienstwagen auf den Parkplatz hinter dem großen Kaufhaus am Wilshire Boulevard, wo die Kunden mit ihren Einkaufstüten hin und her hetzten, sich um die Parkplätze stritten und sich gegenseitig ihre Einkäufe aus den Autos stahlen. Über Los Angeles brach eine schwüle Sommernacht herein.
Als Scuz die drei Chorknaben in die Abstellkammer führen wollte, die sich an die Toilette im ersten Stock anschloß, fiel Baxter Slate ein Mann auf, der auf dem Boden des Korridors saß, der an der Toilette vorbeiführte. Neben ihm lag ein Stapel Zeitungen. Seine Beine waren wie mit Scharnieren versehene Stöckel unter ihm zusammengeklappt. Seine rechte Hand war eine regelrechte Klaue, seine linke war noch schlimmer. Wie ein verstümmeltes Insekt kratzte er an der Wand, unfähig, sich aufzurichten. Es war ein vierzigjähriger Zeitungsverkäufer, der mehrmals täglich seinen Standplatz verlassen mußte, um die Toilette des Kaufhauses aufzusuchen. Er litt an den Folgen eines Gehirnschlags, aber in der Regel schaffte er es ohne weiteres zur Toilette und zurück zu seinem Stuhl, wobei er unterwegs manchmal sogar ein paar Zeitungen verkaufte. An diesem Abend litt er an einer leichten Erkältung, die ihn in dem Maß schwächte, wie eine Lungenentzündung einen normalen, ansonsten gesunden Menschen entkräftet hätte.
Scuz drehte sich um und sah, wie zwei der Chorknaben den Mann beobachteten. Sam Niles wollte an sich dem Zeitungsverkäufer beim Aufstellen behilflich sein, wodurch er allerdings die Aufmerksamkeit der anderen Polizisten auf sich gelenkt hätte, die dann sicher gedacht hätten, er wäre so ein Barmherziger Samariter. Baxter Slate wollte dem Mann ebenfalls helfen, hatte aber Angst, der Zeitungsverkäufer würde diese Geste als aufdringlich empfinden und ihn mit einem bitteren Knurren zurückweisen. Also taten die beiden so, als sähen sie den Mann nicht, und wandten verlegen ihre Augen ab. Und beide hatten sie ein schlechtes Gewissen, weil sie sich nicht imstande sahen zu helfen.
In diesem Augenblick sah Harold Bloomguard den Mann. Er dachte nicht lange nach, sondern sagte nur: »Oh.« Und dann ging er auf den Zeitungsverkäufer zu, nahm ihn am Arm und half ihm, aufzustehen.
Darauf wandte sich Scuz um, nachdem er gemerkt hatte, daß die anderen hinter ihm langsamer gingen, und sah Harold und den Mann. Auch er überlegte nicht lange, sondern trat an Sam und Baxter vorbei auf den
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