Die Chronik der Drachenlanze 1 + 2
flammenerleuchteten Himmel. Zuerst stieß einer herab, dann ein zweiter und verbrannte mit seinem heißen Atem Teile der kleinen Stadt und löste dichte magische Dunkelheit aus.
An den Rest der Nacht hatte Tika nur noch eine schemenhafte Erinnerung. Sie hatte sich ständig gesagt, daß sie aus dem brennenden Gastraum müßte. Aber das Gasthaus war ihr Zuhause, sie fühlte sich dort sicher. Und so blieb sie trotz der Hitze aus der brennenden Küche, die so stark wurde, daß ihr bei jedem Atemzug die Lungen weh taten. In dem Moment, als die Flammen auf den Schankraum übergriffen, stürzte die Küche krachend ein. Otik und die Kellnerinnen schütteten kübelweise Ale auf die Flammen in der Gaststube, bis das Feuer schließlich gelöscht war.
Dann wandte sich Tika den Verletzten zu. Otik brach zitternd und schluchzend in einer Ecke zusammen. Tika schickte eine Kellnerin zu ihm, während sie die Verletzten versorgte. Sie arbeitete stundenlang und weigerte sich entschieden, aus den Fenstern zu sehen. Sie wollte die furchtbaren Geräusche von Tod und Zerstörung aus ihrem Bewußtsein ausklammern.
Auf einmal wurde ihr klar, daß es mit den Verletzten überhaupt kein Ende nahm und mehr und mehr Menschen auf dem Boden lagen. Verwundert sah sie hoch und bemerkte, daß die Menschen in die Stube taumelten. Frauen halfen ihren Ehemännern.
Ehemänner trugen ihre Frauen. Mütter hielten ihre sterbenden Kinder in den Armen.
»Was ist denn los?« fragte Tika eine Wache der Sucher, die hereinstolperte und sich krampfhaft den Arm hielt, der von einem Pfeil getroffen war. Andere schoben sich hinter ihm rein. »Was ist denn los? Warum kommen all diese Leute hierher ?«
Der Mann sah sie mit teilnahmslosen, schmerzverzerrten Augen an. »Das ist das einzige Gebäude«, murmelte er. »Alles andere brennt. Alles ...«
»Nein !« Tika war gelähmt vor Entsetzen, und ihre Knie zitterten. Im selben Moment fiel der Mann ohnmächtig in ihre Arme, und sie war gezwungen, sich zusammenzureißen. Das letzte, was sie sah, als sie ihn weiter in den Raum zog, war Hederick, der am Eingang stand und mit glasigen Augen auf die brennende Stadt starrte. Tränen liefen über sein rußverschmiertes Gesicht.
»Es ist ein Irrtum«, wimmerte er. »Irgendwie ist da ein Irrtum passiert.«
Das war vor einer Woche gewesen. Zwischenzeitlich hatte sich herausgestellt, daß das Wirtshaus nicht das einzige unzerstörte Gebäude war. Die Drakonier wußten genau, welche Gebäude sie schonen mußten; sie hatten nur jene zerstört, für die sie keine Verwendung hatten. Das Wirtshaus, Theros Eisenfelds Schmiede und der Lebensmittelladen waren unversehrt geblieben. Die Schmiede war wegen der Esse sowieso nicht in einen Baum gebaut worden, und die anderen Gebäude mußten heruntergelassen werden, weil die Drakonier es unbequem fanden, in die Bäume zu steigen.
Lord Verminaard befahl den Drachen, die Gebäude runterzuholen. Nachdem ein Zwischenraum ausgebrannt worden war, ergriff eines der riesigen roten Ungeheuer mit seinen Klauen das Wirtshaus und hob es hoch. Die Drakonier jubelten, als der Drache es nicht gerade sanft auf das versengte Gras setzte. Truppführer Toede, der für die Stadt verantwortlich
war, befahl Otik, das Wirtshaus unverzüglich instand zu setzen. Die Drakonier hatten eine große Schwäche – den Alkohol. Drei Tage nach der Eroberung von Solace öffnete das Gasthaus wieder.
»Es geht mir schon wieder gut«, sagteTika zu Otik. Sie trocknete die Augen und putzte sich die Nase. »Seit jener Nacht habe ich nicht mehr geweint«, sagte sie mehr zu sich selbst. Ihre Lippen wurden zu einem dünnen Strich. »Und ich werde nie mehr weinen!« schwor sie sich.
Otik, der nichts verstand, aber erleichtert war, daß Tika sich wieder beruhigt hatte, bevor die Stammkunden kamen, eilte geschäftig hinter die Theke. »Wir öffnen bald«, sagte er und versuchte, fröhlich zu klingen. »Vielleicht haben wir heute gute Gäste.«
»Wie kannst du nur ihr Geld annehmen!« fuhr Tika ihn an.
Otik, der einen weiteren Ausbruch befürchtete, sah sie flehend an. »Ihr Geld ist genauso gut wie jedes andere. In diesen Zeiten sogar besser als das anderer.«
»Pah!« schnaufte Tika. Ihre üppigen roten Locken zitterten, als sie wütend auf ihn zuging. Otik, der ihren Zorn kannte, trat zurück. Aber es half nichts. Er kam nicht davon. Sie bohrte ihren Finger in seinen dicken Bauch. »Wie kannst du über ihre rohen Witze lachen und um sie herumspringen?« fauchte sie.
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