Die Chronik der Drachenlanze 3 + 4
Grabstätte! Er stand vor einer großen, geschwungenen Treppe. Die Steinplatten der Stufen – so wie jeder andere Stein im Raum – waren schneeweiß, im Gegensatz zu den schwarzen Steinen der Grabstätte. Die Treppe wand sich nach rechts und führte zu einem weiteren Stockwerk. Er konnte ein Geländer erkennen – offenbar eine Art Balkon. Er brach sich fast den Hals, um etwas
zu sehen. Tolpan glaubte, im Fackellicht Muster und Kleckse von hellen Farben an der gegenüberliegenden Wand zu erkennen.
Wer hat die Fackeln angezündet?, fragte er sich. Was ist das für ein Ort? Gehört es zu Humas Grabstätte? Oder bin ich direkt in den Drachenberg geflogen? Wer lebt hier? Fackeln zünden sich nicht von selbst an!
Bei diesem Gedanken griff Tolpan, nur um sicherzugehen, in seine Tunika und holte sein kleines Messer hervor. Er hielt es in der Hand, als er die Stufen hochstieg und den Balkon erreichte. Es war ein großes Zimmer, aber er konnte bei dem flackernden Licht wenig erkennen. Riesige Säulen trugen die massive Decke. Eine andere Treppe führte von dieser Ebene zu einer weiteren. Tolpan drehte sich um und lehnte sich an das Geländer, um dieWände zu betrachten.
»Bei Reorx’ Bart!« sagte er leise. »Sieh dir das an!«
Das war ein Gemälde. Besser gesagt, ein Wandgemälde. Es begann gegenüber von Tolpan am Anfang der Treppe und erstreckte sich in Balkonhöhe über die ganze Wand. Der Kender interessierte sich nicht sehr für Kunst, aber er konnte sich nicht erinnern, jemals so etwas Schönes gesehen zu haben. Oder doch? Irgendwie kam ihm das Bild bekannt vor. Ja, je länger er es betrachtete, um so vertrauter erschien es ihm.
Tolpan studierte das Gemälde und versuchte sich zu erinnern. Direkt ihm gegenüber war eine schreckliche Szene dargestellt, mit Drachen jeder Farbe und jeder Art , die über das Land flogen. Städte gingen in Flammen auf – wie Tarsis –, Gebäude zerfielen, Leute flüchteten. Es war ein furchtbarer Anblick, und der Kender ging schnell daran vorbei.
Er ging auf dem Balkon weiter, seine Augen auf die Malerei gerichtet. Er hatte gerade die Mitte des Gemäldes erreicht, als er aufkeuchte.
»Der Drachenberg! Da ist es, hier, an der Wand!« flüsterte er und zuckte zusammen, als er sein Echo hörte. Hastig sah er sich um und schlich näher zum anderen Rand des Balkons. Er beugte sich über das Geländer und betrachtete aufmerksam das
Bild. Es stellte in der Tat den Drachenberg dar, in dem er sich nun befand. Nur hier wurde eineAnsicht des Berges gezeigt, als ob ein Riesenschwert ihn in zwei Hälften geschnitten hätte!
»Wie wunderschön!« Der kartenliebende Kender seufzte. »Natürlich«, sagte er. »Es ist eine Karte! Und hier bin ich! Ich bin im Berg.« Er sah sich im plötzlichen Erkennen im Zimmer um. »Ich bin in der Kehle des Drachen. Darum ist der Raum so lustig geformt.« Er wandte sich wieder der Karte zu. »Da ist das Gemälde an der Wand, und da ist der Balkon. Und die Säulen . . .« Er drehte sich ganz herum. »Ja, und da ist die Treppe. Sie führt nach oben in den Kopf! Und von da bin ich hochgekommen. Irgendeine Windkammer. Aber wer hat das gebaut... und warum?«
Tolpan ging weiter den Balkon entlang und hoffte einen Hinweis im Gemälde zu finden. Auf der rechten Seite war eine andere Schlacht dargestellt.Aber diese erfüllte ihn nicht mit Entsetzen. Es waren rote, schwarze, blaue und weiße Drachen zu sehen, die Feuer und Eis ausatmeten, aber sie wurden von anderen Drachen bekämpft, silbernen und goldenen Drachen . . .
»Jetzt fällt’s mir ein!« schrieTolpan.
Der Kender begann auf und ab zu hüpfen und kreischte wie einWilder. »Ich erinnere mich! Ich erinnere mich! Es war in Pax Tharkas. Fizban zeigte es mir. Es gibt auf der Welt gute Drachen. Und sie helfen uns, die bösen zu bekämpfen.Wir müssen sie nur finden. Und da sind die Drachenlanzen!«
»Verdammt noch mal!« schnarrte eine Stimme unterhalb des Kenders. »Kann man nicht mal ein bißchen schlafen? Was soll dieser Krach? Du machst einen Lärm, daß selbst Tote wach werden!«
Tolpan wirbelte alarmiert mit seinem Messer in der Hand herum. Er hätte schwören können, daß er hier allein war. Aber nein. Von einer Steinbank, die außerhalb des Fackellichts im Schatten stand, erhob sich eine dunkle Gestalt. Sie schüttelte sich, streckte sich und begann dann schnell auf den Kender zuzugehen. Tolpan konnte sich nicht von der Stelle bewegen, selbst wenn er es gewollt hätte, außerdem war er sehr
Weitere Kostenlose Bücher