Die Chronik der Drachenlanze 3 + 4
finden.«
Raistlin wußte seinen Namen, dachte Tanis. Aber er sprach diesen Gedanken nicht aus.
»Wie ist dein Vater an die Kugel der Drachen gekommen?«
»Mein Vater war ein Lehrling«, erzählte Alhana leise, während sie ihr Gesicht dem Silbermond zuwandte. »Er reiste zum Turm der Erzmagier nach Istar, um die Prüfungen abzulegen, die er auch bestand und überlebte. Dort traf er das erste Mal auf die Kugel der Drachen.« Einen Moment versank sie in Schweigen. »Ich erzähle dir jetzt etwas, was ich nie zuvor jemandem erzählt habe und was er auch nur mir anvertraut hat. Ich erzähle es dir nur, weil du ein Recht hast, zu erfahren, was dich erwartet.
Während der Prüfungen hat die Kugel der Drachen . . .«, Alhana zögerte, schien die richtigenWorte zu suchen, »zu ihm gesprochen – rein gedanklich. Er befürchtete eine schreckliche Katastrophe. ›Du darfst mich hier nicht in Istar lassen‹, sagte sie ihm. ›Wenn du es doch tust, werde ich umkommen, und dieWelt wird verloren sein.‹ Mein Vater . . . Du denkst vielleicht, daß er die Kugel der Drachen gestohlen hat, aber er selbst sah das als Befreiungstat an.
Der Turm von Istar wurde aufgegeben. Der Königspriester zog ein und nutzte ihn für seine eigenen Zwecke. Schließlich verließen die Magier auch denTurm von Palanthas.«Alhana erbebte. »Diese Geschichte ist grauenhaft. Der Regent von Palanthas, ein Jünger des Königspriesters, kam zum Turm, um die Tore zu versiegeln – so sagte er jedenfalls. Aber es war offensichtlich, daß seine Augen gierig auf den wunderschönen Turm gerichtet waren, denn Legenden über seine Wunder – sowohl gute als auch böse – hatten sich im Lande verbreitet.
Der Zauberer der Weißen Roben verschloß die schlanken, goldenenTore des Turms mit einem silbernen Schlüssel. Der Regent streckte seine Hand gierig nach dem Schlüssel aus, als einer der Schwarzen Roben in einem Fenster der oberen Etagen erschien.
›Die Tore bleiben verschlossen und die Hallen leer, bis zu dem Tage, an dem der Herr über Gestern und Heute mit Macht zurückkehrt‹, schrie er. Dann sprang der böse Magier herab auf die Tore. Als Widerhaken seine schwarzen Roben durchdrangen, warf er einen Fluch auf den Turm. Sein Blut floß auf den Boden, die goldenen Tore verbogen sich und wurden schwarz. Der rot und weiß schimmernde Turm verblaßte zu eisgrauem Stein, seine schwarzen Minarette zerfielen zu Staub.
Der Regent und seine Leute flohen voller Entsetzen. Bis zum heutigen Tag hat niemand gewagt, den Turm von Palanthas zu betreten oder sich sogar seinen Toren zu nähern. Nachdem der Turm verflucht worden war, brachte mein Vater die Kugel der Drachen nach Silvanesti.«
»Aber dein Vater wußte doch bestimmt etwas über die Kugel,
bevor er sie nahm«, beharrte Tanis. »Wie sie zu gebrauchen...«
»Wenn dem so war, dann sprach er nicht darüber«, sagte Alhana müde, »denn das ist alles, was ich weiß. Ich muß mich jetzt ausruhen. Gute Nacht«, sagte sie zuTanis, ohne ihn anzusehen.
»Gute Nacht, Alhana«, sagte Tanis weich. »Ruh dich aus in dieser Nacht. Und mach dir keine Sorgen. Dein Vater ist klug und hat viel durchgemacht. Ich bin mir sicher, daß alles in Ordnung ist.«
Alhana wollte ohne ein weiteres Wort an ihm vorbeigehen, doch als sie das Mitgefühl in seiner Stimme hörte, zögerte sie.
»Obwohl er die Prüfungen bestanden hat«, sagte sie so leise, daß Tanis näher treten mußte, »war er nicht so mächtig in der Magie, wie dein junger Freund es jetzt ist. Und falls er dachte, daß die Kugel der Drachen unsere einzige Hoffnung wäre, dann befürchte ich . . .« Ihre Stimme erstarb.
»Die Zwerge haben ein Sprichwort.« Einen Moment lang hatte Tanis das Gefühl, daß sich die Schranken zwischen ihnen gesenkt hatten, und er legte seinen Arm um Alhanas schlanke Schultern und zog sie an sich. »›Geliehener Ärger wird zurückgezahlt mit Zinsen auf das Leid.‹ Mach dir keine Sorgen. Wir sind bei dir.«
Alhana antwortete nicht. Einen Moment lang ließ sie sich trösten, dann befreite sie sich aus seinem Griff und ging zum Höhleneingang. Dort blieb sie stehen und sah zurück.
»Du machst dir um deine Freunde Sorgen«, sagte sie. »Das ist nicht nötig. Sie sind aus der Stadt entkommen und in Sicherheit. Obwohl der Kender eine Zeitlang demTode sehr nahe war, hat er überlebt, und jetzt reisen sie zur Eismauer auf der Suche nach einer Kugel der Drachen.«
»Woher weißt du das?« fragteTanis atemlos.
»Ich habe dir alles
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