Die Chronik der Drachenlanze 3 + 4
Raistlin argwöhnisch an.
»Im Beutel«, erwiderte der Magier ruhig und zeigte den kleinen Beutel vor. »Sieh selbst nach, wenn du mir nicht glaubst.«
Tanis spähte in den Beutel. Es stimmte – die Kugel befand sich im Beutel. Er konnte den wirbelnden grünen Nebel erkennen, als ob sich in ihr ein schwaches Leben rührte. Sie muß zusammengeschrumpft sein, dachte er ehrfürchtig. Da die Kugel dieselbe Größe wie vorher zu haben schien, hatte Tanis den furchterregenden Eindruck, daß er gewachsen war.
Schaudernd trat der Halb-Elf zurück. Raistlin zog an der Schnur des Beutels. Dann warf er den anderen einen mißtrauischen Blick zu, verbarg den Beutel in einer der Geheimtaschen seiner Robe und drehte sich um.Aber Tanis hielt ihn auf.
»Es kann wohl nie mehr zwischen uns so sein wie früher, oder?« fragte der Halb-Elf ruhig.
Raistlin sah ihn einen Moment lang an, und Tanis entdeckte ein kurzes Aufflackern des Bedauerns in den Augen des jungen Magiers; ein Sehnen nach Vertrauen und Freundschaft und nach einer Rückkehr zu den Tagen ihrer Jugend.
»Nein«, flüsterte Raistlin. »Aber das war eben der Preis, den ich bezahlt habe.« Er begann zu husten.
»Preis?An wen?Wofür?«
»Frag nicht, Halb-Elf.« Die dünnen Schultern des Magiers krümmten sich unter dem Hustenanfall. Caramon legte seinen starken Arm um seinen Bruder, und Raistlin lehnte sich geschwächt an ihn. Als er sich wieder erholt hatte, hob er seine goldenen Augen. »Ich kann dir die Antwort nicht geben, Tanis, weil ich sie selbst nicht kenne.«
Dann beugte er seinen Kopf und ließ sich von Caramon wegführen, um sich vor ihrer Reise auszuruhen.
»Ich wünschte, du würdest es dir anders überlegen und uns bei den Beerdigungsriten für deinen Vater helfen lassen«, sagte Tanis zu Alhana, als sie im Eingang des Sternenturms standen, um sich zu verabschieden. »Ein Tag wird für uns keinen Unterschied ausmachen.«
»Ja, wir helfen dir«, stimmte Goldmond aufrichtig zu. »Ich weiß über diese Dinge viel von meinem Volk, denn unsere Beerdigungsbräuche sind euren ähnlich, wenn Tanis mich richtig unterrichtet hat. Ich war bei meinem Stamm Priesterin, und ich wachte über das Einhüllen der Körper in mit Gewürzen versehene Kleidungsstücke, die sie konservieren...«
»Nein, meine Freunde«, sagte Alhana entschlossen. »Es war der Wunsch meines Vaters, daß ich... es allein mache.«
Das stimmte nicht ganz, aber Alhana wußte, wie schockiert sie sein würden, wenn ihr Vater der Erde übergeben werden würde – ein Brauch, der nur von Goblins und anderen bösartigen Kreaturen angewendet wurde. Der Gedanke erschreckte sie. Unfreiwillig fiel ihr Blick auf den entstellten und verdrehten Baum, der sein Grab kennzeichnen sollte. Sie sah schnell weg, ihre Stimme versagte.
»Sein Grab ist... ist schon seit langem vorbereitet, und ich verfüge selbst über Erfahrungen in diesen Dingen. Macht euch bitte keine Sorgen um mich.«
Tanis sah den Schmerz in ihrem Gesicht, konnte ihre Bitte aber nicht abschlagen.
»Wir verstehen«, sagte Goldmond. Dann legte die Que-Shu-Barbarin impulsiv ihre Arme um die Elfenprinzessin und hielt sie an sich gedrückt, als würde sie ein verlorenes und verängstigtes Kind festhalten. Alhana versteifte sich anfangs, entspannte sich dann aber in Goldmonds mitfühlender Umarmung.
»Friede sei mit dir«, flüsterte Goldmond und strich Alhana das dunkle Haar aus dem Gesicht. Dann ging die Barbarin.
»Was wirst du nach der Beerdigung deines Vaters machen?« fragte Tanis, als er und Alhana allein auf den Stufen des Turms standen.
»Ich werde zu meinem Volk zurückkehren«, erwiderte Alhana ernst. »Die Greife werden jetzt zu mir kommen, da das Böse aus diesem Land verschwunden ist, und sie werden mich nach Ergod bringen. Wir werden tun, was in unserer Macht steht, um das Böse zu besiegen, und dann nach Hause zurückkehren.«
Tanis blickte sich um. Silvanesti war schon tagsüber entsetzlich, aber die Schrecken in der Nacht waren noch grauenvoller.
»Ich weiß«, antwortete Alhana auf seine unausgesprochenen Gedanken. »Das wird unsere Strafe sein.«
Tanis hob skeptisch die Augenbrauen, ihm war bewußt, welchen Kampf sie vor sich hatte, ihre Leute zur Rückkehr zu bewegen. Dann sah er die tiefe Überzeugung in Alhanas Gesicht. Vielleicht würde sie es schaffen.
Lächelnd wechselte er das Thema. »Und wirst du Zeit finden, nach Sankrist zu kommen?« fragte er. »Die Ritter würden sich durch deine Anwesenheit geehrt
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