Die Chronik der Drachenlanze 5 + 6
seinen Armen.
Der Halb-Elf versuchte verzweifelt zu folgen, aber er hätte eher in die Hölle springen können, als auf diese kalte Steinoberfläche zu kriechen. Er konnte nur zusehen, wie der alte Magier, der so vorsichtig ging, als ob er ein schlafendes Kind in seinen Armen trug, sich zur Mitte der glänzend schwarzen Oberfläche bewegte.
»Fizban!« rief Tanis.
Der alte Mann hielt nicht an und drehte sich auch nicht um, sondern ging auf die glitzernden Sterne zu.Tanis spürte Tolpan neben sich. Tanis nahm seine Hand und hielt sie fest, so wie er Flints festgehalten hatte.
Der alte Magier erreichte die Mitte des Steinbeckens . . . und verschwand.
Tanis keuchte. Tolpan sprang an ihm vorbei, wollte auf die glasähnliche Oberfläche laufen. Aber Tanis fing ihn ein.
»Nein, Tolpan«, sagte der Halb-Elf leise. »Bei diesem Abenteuer kannst du ihn nicht begleiten. Noch nicht. Du mußt noch eine Weile bei mir bleiben. Ich brauche dich jetzt.«
Tolpan wich ungewöhnlich gehorsam zurück, dabei zeigte er aber nach vorn.
»Sieh mal, Tanis!« flüsterte er mit bebender Stimme. »Die Konstellation! Sie ist wieder da!«
Als Tanis auf die Oberfläche des schwarzen Beckens starrte, sah er die Sterne der Konstellation des Tapferen Kriegers zurückkehren. Sie flackerten, dann erstrahlten sie im Licht und erfüllten das dunkle Becken mit ihrem blauweißen Glanz. Schnell sah Tanis nach oben – aber der Himmel war blau und still und leer.
T anis!« rief Caramon.
Berem! Plötzlich erinnerte sich Tanis, was er getan hatte, wandte sich um und stolperte auf Caramon und Tika zu, die entsetzt auf den blutverschmierten Stein starrten, an dem Berems Leichnam gelegen hatte. Während sie zusahen, begann Berem sich zu rühren, zu stöhnen – nicht vor Schmerz, sondern von der Erinnerung an den Schmerz. Mit einer zitternden Hand an seiner Brust erhob sich Berem langsam. Auch die Blutspuren an seinem Körper verschwanden allmählich.
»Er wird auch Ewigan genannt, erinnerst du dich?« fragte
Tanis den aschgrauen Caramon. »Sturm und ich haben ihn in Pax Tharkas sterben gesehen, vergraben unter Tonnen von Steinen. Er ist schon unzählige Male gestorben, nur um wieder zum Leben zu erwachen. Und er behauptet, den Grund dafür nicht zu kennen.«Tanis trat dicht zu Berem, starrte den Mann an, der ihn widerspenstig und argwöhnisch musterte.
»Aber du weißt es, nicht wahr, Berem?« fragte Tanis. Die Stimme des Halb-Elfen war sanft und ruhig. »Du weißt es«, wiederholte er, »und du wirst es uns erzählen. Das Leben vieler kann davon abhängen.«
Berem senkte seinen Blick. »Es tut mir leid ... wegen deines Freundes«, murmelte er. »Ich ... ich habe versucht, ihm zu helfen, aber es gab nichts . . .«
»Ich weiß.« Tanis schluckte. »Es tut mir leid ... was ich getan habe. Ich ... konnte nicht sehen ... Ich habe nicht verstanden . . .«
Aber während er diese Worte sprach, erkannte Tanis, daß er log. Er hatte gesehen, aber er hatte nur das gesehen, was er sehen wollte. Wie viele Situationen in seinem Leben waren so gewesen? Wieviel von dem, was er gesehen hatte, war von ihm verzerrt worden? Er hatte Berem nicht verstanden, weil er Berem nicht verstehen wollte! Berem verkörperte für Tanis tatsächlich all jene dunklen und geheimen Dinge, die er an sich selbst haßte. Er hatte Berem getötet, das wußte der Halb-Elf, aber in Wirklichkeit hatte er das Schwert in seinen eigenen Körper getrieben.
Und jetzt schien es, als ob diese Schwertwunde das schädliche, brandige Gift, das seine Seele verdarb, ausgespuckt hätte. Jetzt konnte die Wunde heilen. Die Trauer um Flints Tod war wie ein lindernder Balsam, der ihn an die Rechtschaffenheit, an die höheren Werte erinnerte. Endlich fühlte Tanis sich von den dunklen Schatten seiner Schuld befreit. Was immer auch geschehen war, er hatte immer sein Bestes getan, um zu helfen und die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Er hatte Fehler begangen, aber er konnte sich jetzt vergeben.
Vielleicht sah Berem dies in Tanis’ Augen. Gewiß sah er
Trauer, sah Mitgefühl. Dann sagte Berem plötzlich: »Ich bin müde, Tanis.« Seine Augen waren auf die vom Weinen geröteten Augen des Halb-Elfen gerichtet. »Ich bin so müde.« Sein Blick fuhr zu dem schwarzen Steinbecken. »Ich ... ich beneide deinen Freund. Er hat jetzt seine Ruhe. Er hat Frieden gefunden. Darf ich das niemals haben?« Berem ballte seine Fäuste, dann erschauderte er und vergrub seinen Kopf in seinen Händen. »Aber ich habe
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