Die Chronik der Drachenlanze 5 + 6
konnte, trat der andere Offizier, der die ganze Zeit geschwiegen und sich im Hintergrund aufgehalten hatte, nach vorne.
»Der Mensch ist ein Zauberkundiger«, sagte der Offizier. »Und wir glauben, daß der Kender ein Spion ist.Wir haben ihn in der Nähe von Burg Dargaard erwischt.«
»Nun, warum habt ihr das nicht gleich gesagt«, schnappte der Hauptmann, »anstatt meine Zeit zu verschwenden. Dann bringt sie ins Gefängnis«, sprach er eilig, als die Hörner erschallten. Es war Zeit für die Zeremonie, die massiven Eisentore erbebten und begannen aufzuschwingen. »Ich unterschreibe eure Papiere. Gebt sie mir.«
»Wir haben keine ...«, begann der große Offizier.
»Was für Papiere?« unterbrach der bärtige Offizier, der in einem Beutel wühlte. »Ausweis . . .«
»Quatsch!« gab der Hauptmann vor Ungeduld kochend zurück. »Die Erlaubnis von eurem Befehlshaber, Gefangene hereinzubringen.«
»So etwas hat man uns nicht gegeben«, sagte der bärtige Offizier kühl. »Ist das eine neue Anweisung?«
»Nein«, sagte der Hauptmann, der sie jetzt argwöhnisch beäugte. »Wie seid ihr ohne diese Papiere durch die Linien gekommen? Und wie glaubt ihr, wollt ihr zurückkommen? Oder seid ihr dabei, zurückzugehen? Habt ihr gedacht, einen kleinen Ausflug mit dem Geld zu machen, das ihr aus diesem Pack herausholen könnt?«
»Natürlich nicht!« Der große Offizier errötete vor Zorn, seine Augen funkelten. »Unser Befehlshaber hat das wohl vergessen, das ist alles. Er hat eine Menge zu tun, und man kann das wohl einfacher lösen, wenn du verstehst, was ich meine.« Er blickte den Hauptmann drohend an.
Die Tore öffneten sich. Hörner schmetterten. Der Hauptmann seufzte wütend. Genau in diesem Moment sollte er in der Mitte stehen, bereit, die Fürstin Kitiara zu begrüßen. Er winkte die Wachen der Dunklen Königin herbei, die in der Nähe standen.
»Bringt sie nach unten«, sagte er, während er seine Uniform zurechtrückte. »Wir werden ihnen schon noch zeigen, wie wir mit Deserteuren umgehen!«
Als er davoneilte, sah er mit Vergnügen, wie die Wachen der Königin seinen Befehl ausführten, rasch und sicher die zwei Offiziere ergriffen und sie entwaffneten.
Caramon warf Tanis einen beunruhigten Blick zu, als die Drakonier ihn an den Armen festhielten und seinen Schwertgurt lösten. Tikas Augen waren vor Angst weit aufgerissen – das war im Plan nicht vorgesehen gewesen. Berem, dessen Gesicht unter dem falschen Bart fast verschwand, sah aus, als ob er losschreien oder weglaufen oder beides tun würde. Selbst Tolpan schien durch die plötzliche Änderung ihres Plans gelähmt. Seine Augen fuhren wild umher, als ob er eine Fluchtmöglichkeit suchte.
Tanis dachte hektisch nach. Er hatte geglaubt, jede Möglichkeit erwogen zu haben, als er diesen Plan schmiedete, aber offensichtlich hatte er eine Möglichkeit außer Betracht gelassen. Der Gedanke, als Deserteur verhaftet zu werden, war ihm nie gekommen! Wenn die Wachen sie in die Verliese sperren würden, wäre alles vorbei. Sobald sie seinen Helm abnehmen würden, würden sie ihn als Halb-Elfen erkennen. Dann würden sie auch die anderen näher untersuchen ... sie würden Berem entdecken . . .
Er war die Gefahr. Ohne ihn könnten Caramon und die anderen es immer noch schaffen. Ohne ihn . . .
Wieder schmetterten die Trompeten, und die Menge jubelte wild, als ein riesiger blauer Drache mit einem Drachenfürsten durch die Tempeltore kam. Als Tanis den Drachenfürsten sah, zog sich sein Herz vor Schmerz – und plötzlich vor stürmischer Hochstimmung zusammen. Die Menge drängte, Kitiaras Namen brüllend, nach vorn, und einen Moment waren die Wachen abgelenkt, als sie sich vergewisserten, daß der Drachenfürstin keine Gefahr drohte. Tanis beugte sich so nahe wie möglich zu Tolpan.
»Tolpan!« sagte er schnell, hoffend, daß Tolpan ausreichende Kenntnisse in der Elfensprache hatte, um ihn bei dem Lärm zu verstehen. »Sag Caramon, er soll dieses Spiel weiterspielen. Egal, was ich auch mache, er muß mir vertrauen! Alles hängt davon ab. Egal, was ich mache. Hast du verstanden?«
Tolpan starrte Tanis erstaunt an, dann nickte er zögernd. Es war schon sehr lange her, daß er die Elfensprache verstehen mußte.
Tanis konnte nur hoffen, daß er verstanden worden war. Caramon sprach überhaupt nicht die Elfensprache, und Tanis wagte nicht, die Umgangssprache zu verwenden, auch wenn seine Stimme von dem Lärm der Menge verschluckt wurde. Trotzdem war eine
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