Die Chronik der Drachenlanze 5 + 6
und wirksam reagierten.
Der Hauptmann schrie vor Schmerzen auf. Ja, ja! Er erinnerte
sich! Aber es war nicht nur ein Offizier, es waren zwei gewesen.
»Zwei?« Gakhans Augen glitzerten. »Beschreib den anderen!«
»Ein großer Mensch, wirklich groß. Er quoll fast aus seiner Uniform heraus. Und sie hatten Gefangene...«
»Gefangene!« Gakhans Reptilienzunge zuckte aufgeregt in seinem Mund. »Beschreib sie!«
Der Hauptmann war allzu glücklich, sie beschreiben zu können. »Eine menschliche Frau, rote Locken, Brüste in der Größe von...«
»Fahr fort«, knurrte Gakhan. Seine Klauenhände zitterten.
Schluchzend gab der Hauptmann eilig Beschreibungen von den zwei anderen Gefangenen, die Worte sprudelten nur so heraus.
»Ein Kender«, wiederholte Gakhan, der immer aufgeregter wurde. »Fahr fort! Ein alter Mann, weißer Bart...« Er hielt verwirrt inne.
Der alte Zauberkundige? Sicherlich hätten sie niemals zugelassen, daß dieser klapprige alte Narr sie auf solch einer wichtigen und gefährlichen Mission begleitet. Wenn nicht, wer dann? Jemand, den sie unterwegs aufgelesen hatten?
»Erzähl mir mehr über den alten Mann«, befahl Gakhan.
Der Hauptmann wühlte verzweifelt in seinem alkoholdurchweichten und schmerzbetäubten Gehirn. Der alte Mann...weißer Bart...
»Gebückt?«
»Nein...großgewachsen, breite Schultern...blaue Augen. Komische Augen...« Der Hauptmann stand am Rande einer Ohnmacht. Gakhan packte den Mann mit einer Klauenhand und quetschte seinen Hals.
»Was ist mit den Augen?«
Ängstlich starrte der Hauptmann den Drakonier an, der ihn langsam erwürgte. Er brabbelte etwas.
»Jung... zu jung!« wiederholte Gakhan jubelnd. Jetzt wußte er Bescheid. »Wo sind sie?«
Der Hauptmann keuchte ein Wort, dann schleuderte Gakhan ihn krachend auf den Boden.
Die Fronten klärten sich. Gakhan fühlte sich wie im siebten Himmel. Ein Gedanke flatterte in seinem Gehirn wie die Flügel eines Drachen, als er und seine Begleiter das Zelt verließen und auf die Verliese unter dem Palast zueilten.
Berem ...Berem ...Berem!
T olpan!«
»Aua ...laß mich...«
»Ich weiß, Tolpan. Es tut mir leid, aber du mußt aufwachen. Bitte, Tolpan!
Eine Spur von Angst und Dringlichkeit in der Stimme durchbrach die Schmerzenswogen im Kopf des Kenders. Ein Teil von ihm sprang auf und ab und schrie ihn an, wach zu werden. Aber ein anderer Teil zog ihn in die Dunkelheit zurück, was besser war, als dem Schmerz entgegenzutreten, von dem er wußte, daß er auf ihn wartete, zum Sprung bereit...
»Tolpan ...Tolpan ...« Eine Hand tätschelte seine Wange. Die flüsternde Stimme klang angespannt und ängstlich. Der Kender erkannte plötzlich, daß es keine andere Möglichkeit gab. Er mußte aufwachen. Zudem schrie der Auf-und-abspring-Teil in seinem Gehirn, daß er etwas verpassen könnte!
»Den Göttern sei Dank!« Tika atmete schwer, als Tolpan seine Augen weit öffnete und sie anstarrte. »Wie geht es dir?«
»Schrecklich«, antwortete Tolpan mit belegter Stimme und versuchte, sich aufzurichten. Wie er es vorausgesehen hatte, sprang der Schmerz ihn an und schlug auf ihn ein. Stöhnend faßte er nach seinem Kopf.
»Ich weiß... es tut mir leid«, sagte Tika wieder und streichelte sanft über sein Haar.
»Du meinst es sicher gut, Tika«, sagte Tolpan jämmerlich, »aber würdest du bitte damit aufhören! Mir ist, als ob Zwergenhämmer auf mich einschlügen.«
Tika zog eilig ihre Hand zurück. Der Kender sah sich um, so gut es mit einem Auge möglich war. Das andere war so angeschwollen, daß er es kaum öffnen konnte. »Wo sind wir?«
»In den Verliesen unter dem Tempel«, antwortete Tika. Tolpan, der neben ihr saß, konnte sie vor Angst und Kälte zittern spüren. Doch als er sich umsah, verstand er es. Der Anblick ließ ihn auch erschauern.Wehmütig erinnerte er sich an die gute alte Zeit, als er die Bedeutung des Wortes Angst nicht gekannt hatte. Eigentlich müßte er ein prickelndes Gefühl der Aufregung verspüren. Er befand sich trotz allem an einem Ort, an dem er niemals zuvor gewesen war und wo es wahrscheinlich eine Menge faszinierender Dinge zu erforschen gab.
Aber hier weilte der Tod, erkannte Tolpan: Tod und Leiden. Er hatte schon zu viele sterben, zu viele leiden sehen. Seine Gedanken wanderten zu Flint, zu Sturm und zu Laurana ... Irgend etwas hatte sich in Tolpan verändert. Er würde niemals wieder so sein wie andere Kender. Durch die Trauer hatte er allmählich die Angst kennengelernt – Angst
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