Die Chronik der Drachenlanze 5 + 6
verschwammen. »Was?« murmelte er. »Davon hast du mir nichts erzählt! Was soll ich tun?«
»Geh zur Plattform und lege dein Schwert zu Ariakus’ Füßen nieder«, antwortete Kitiara schnell und begleitete ihn zum Rand der Plattform. »Er wird es aufheben und dir zurückgeben, dann bist du ein Offizier der Drachenarmee. Es ist nur ein Ritual. Aber dadurch gewinne ich Zeit.«
»Zeit wofür? Was hast du geplant?« fragte Tanis barsch. Er griff ihren Arm. »Du hättest es mir sagen sollen ...«
»Je weniger du weißt, desto besser, Tanis.« Kitiara lächelte bezaubernd, für jene, die sie beobachteten. Es gab nervöses Gelächter, grobe Witze über das, was wie die Trennung von Liebenden aussah. Aber Tanis sah kein Lächeln in Kits braunen Augen. »Vergiß nicht, wer neben mir auf dieser Plattform steht«, flüsterte Kitiara. Ihren Schwertknauf streichelnd, warf Kit Laurana einen bedeutungsvollen Blick zu. »Mach keine Dummheiten.« Sie drehte sich um und ging wieder zurück und stellte sich neben Laurana.
Tanis zitterte vor Furcht und Wut, seine Gedanken wirbelten wirr durcheinander, als er die Stufen hinabstolperte. Der Lärm der Versammlung überrollte ihn wie Meereswellen. Speerspitzen blitzten auf, Fackeln vernebelten seine Sinne. Er setzte seinen
Fuß auf den Boden und ging auf Ariakus’ Plattform zu, ohne sich bewußt zu sein, wo er war oder was er tun sollte. Er bewegte sich mechanisch über den Marmorboden.
Die Gesichter der Drakonier, die Ariakus’ Ehrenwache bildeten, schwebten um ihn wie ein entsetzlicher Alptraum. Er sah sie als körperlose Köpfe, funkelnde Zahnreihen und zuckende Zungen. Sie teilten sich vor ihm, die Stufen materialisierten sich vor seinen Füßen, als ob sie aus einem Nebel hervorgekommen wären.
Er hob den Kopf und starrte benommen hoch. Dort stand Lord Ariakus; ein riesiger Mann, majestätisch, mächtig. Das ganze Licht im Saal schien zu der Krone auf seinem Kopf hingezogen zu werden. Ihre Helligkeit verwirrte die Augen, und Tanis, von ihr geblendet, blinzelte, als er die Stufen mit der Hand am Schwert hochstieg.
Hatte Kitiara ihn verraten? Würde sie ihr Versprechen halten? Tanis bezweifelte es. Bitterlich verfluchte er sich. Wieder einmal war er ihrem Zauber erlegen. Wieder einmal hatte er den Narren gespielt, weil er ihr vertraut hatte. Und jetzt hatte sie alle Karten in der Hand. Er konnte nichts machen ... oder doch?
Ihm kam so plötzlich eine Idee, daß er, mit einem Fuß auf der oberen Stufe, mit dem anderen auf der unteren, verhielt.
Narr! Geh weiter, befahl er sich, spürte, daß ihn alle anstarrten. Er zwang sich, nach außen hin ruhig zu wirken, und stieg weiter die Stufen hoch. Je näher er Lord Ariakus kam, um so klarer wurde sein Plan.
Wer auch immer die Krone trägt, herrscht! Die Worte hallten durch Tanis’ Bewußtsein.
Töte Ariakus, nimm die Krone! Es ist ganz einfach! Tanis’ Blick huschte fiebrig zur Nische. Keine Wachen standen bei Ariakus. Natürlich! Kein Soldat durfte auf der Plattform stehen. Aber er hatte nicht einmal Wachen auf den Stufen wie die anderen Fürsten. Offenbar war der Mann so hochmütig, fühlte sich so sicher, daß er sie für unnötig hielt.
Tanis’ Gedanken überschlugen sich. Kitiara würde ihre Seele
gegen diese Krone eintauschen. Und solange ich sie trage, wird sie mir gehorchen! Ich kann Laurana retten ... wir können zusammen fliehen! Wenn wir erst einmal draußen in Sicherheit sind, kann ich es Laurana erklären. Ich kann alles erklären! Ich werde mein Schwert ziehen, aber statt es vor Lord Ariakus’ Füße zu legen, werde ich ihn durchbohren! Wenn die Krone erst in meiner Hand ist, wird niemand wagen, mich zu berühren!
Tanis bebte vor Aufregung. Mit äußerster Anstrengung gelang es ihm, sich zu beruhigen. Er konnte Ariakus nicht ansehen, weil er fürchtete, der Mann könnte seinen verzweifelten Plan in seinen Augen lesen.
Er hielt den Blick auf die Stufen gerichtet, er wußte nur, daß er sich Lord Ariakus näherte, weil es noch fünf Stufen bis zur Plattform waren.Tanis’ Hand zuckte an seinem Schwert.Als er glaubte, sich unter Kontrolle zu haben, richtete Tanis den Blick auf das Gesicht des Mannes, und einen Moment lang ließ ihn das Böse, das sich ihm enthüllte, die Fassung verlieren. Es war ein Gesicht, leidenschaftslos geworden, ein Gesicht, das den Tod Tausender Unschuldiger als Mittel zu nur einem einzigen Zweck gesehen hatte.
Ariakus hatte Tanis mit gelangweilter Miene beobachtet, mit einem
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