Die Chronik der Drachenlanze 5 + 6
Halb-Elfen, nachzulaufen. Dieses verwöhnte kleine Mädchen war erwachsen geworden. Furcht, Schmerz, schwerer Verlust und großes Leid hatten sie älter als ihr Vater werden lassen.
Sie wandte sich um und sah Sir Markham und Sir Patrick Blicke wechseln. Von allen Rittern der Krone hatten diese beiden am längsten gedient. Sie kannte beide als mutige Soldaten und ehrenhafte Männer. Sie hatten mutig um den Turm des Oberklerikers gekämpft. Warum hatte Gunther nicht einen von ihnen ausgewählt?
Sir Patrick erhob sich mit dunklem Gesicht. »Ich kann das nicht akzeptieren«, sagte er mit leiser Stimme. »Lady Laurana ist gewiß eine mutige Kämpferin, aber sie hat niemals Männer ins Feld geführt und kommandiert.«
»Hast du es denn, junger Ritter?« fragte Astinus gelassen.
Patrick errötete. »Nein, aber das ist etwas anderes. Sie ist eine Frau...«
»Ach wirklich, Patrick?« lachte Sir Markham. Er war ein sorgloser, unkomplizierter junger Mann – ein bemerkenswerter Gegensatz zu dem strengen und ernsten Patrick. »Haare auf der Brust machen einen noch nicht zum General. Reg dich ab! Das ist Politik! Gunther hat einen klugen Schritt getan.«
Laurana errötete, sie wußte, daß er recht hatte. Sie war eine sichere Wahl. Gunther würde Zeit haben, seine Ritterschaft wieder aufzubauen und sich selbst als Führer zu etablieren.
»Aber so etwas hat es noch nie gegeben!« fuhr Patrick fort und vermied dabei Lauranas Augen. »Ich bin sicher, daß es gemäß dem Maßstab Frauen nicht erlaubt ist, in der Ritterschaft. . .«
»Du irrst dich«, bemerkte Astinus kategorisch. »Und das gab es schon einmal. Während des Dritten Drachenkrieges wurde eine junge Frau nach dem Tod ihres Vaters und ihrer Brüder in die Ritterschaft aufgenommen. Sie wurde zum Ritter des
Schwertes geschlagen und starb ehrenhaft in der Schlacht, betrauert von ihren Kameraden.«
Niemand sprach. Amothud wirkte äußerst verlegen, er wäre bei Sir Markhams Bemerkung über die haarige Brust am liebsten unter dem Tisch verschwunden. Astinus starrte Sir Patrick kühl an. Sir Markham spielte mit seinem Weinglas, warf Laurana lächelnd einen Blick zu. Nach einem kurzen inneren Kampf, der sich deutlich in seinem Gesicht abspielte, setzte sich Sir Patrick mit finsterem Gesicht.
Sir Markham hob sein Glas. »Auf unseren Befehlshaber!«
Laurana reagierte nicht. Sie hatte das Kommando. Kommando worüber? fragte sie sich bitter. Die ruinierten Überreste der Ritter von Solamnia, die nach Palanthas geschickt worden waren; von den Hunderten hatten nicht mehr als fünfzig überlebt. Sie hatten einen Sieg errungen – aber zu welch schrecklichem Preis? Eine Kugel der Drachen war zerstört, der Turm des Oberklerikers lag in Schutt und Asche...
»Ja, Laurana«, sagte Astinus, »sie haben es Euch überlassen, die Scherben aufzuheben.«
Sie sah verwirrt auf, verängstigt über diesen seltsamen Mann, der ihre Gedanken aussprach.
»Ich wollte das nicht so«, murmelte sie wie betäubt.
»Ich glaube nicht, daß einer von uns in diesem Raum um einen Krieg gebetet hat«, bemerkte Astinus sarkastisch. »Aber der Krieg ist eingetreten, und jetzt müßt Ihr das tun, was Ihr tun könnt, um ihn zu gewinnen.« Er erhob sich. Der Herrscher von Palanthas, die Generäle und Ritter standen respektvoll auf.
Laurana blieb sitzen, ihre Augen auf ihre Hände gerichtet. Sie spürte, wie Astinus sie anstarrte, und sie weigerte sich dickköpfig, ihn anzusehen.
»Mußt du schon gehen, Astinus?« fragte Amothud traurig.
»Ich muß. Meine Studien warten. Ich war bereits zu lange fort. Ihr habt nun eine Menge Arbeit vor euch, vieles davon ist nüchtern und langweilig. Ihr braucht mich nicht mehr. Und ihr habt euren Anführer.« Er machte mit seiner Hand eine Bewegung.
»Was?« fragte Laurana, die seine Geste aus den Augenwinkeln bemerkt hatte. Jetzt sah sie ihn an, dann fuhren ihre Augen zum Herrscher von Palanthas. »Ich? Das kann nicht Euer Ernst sein. Ich habe nur die Befehlsgewalt über die Ritter...«
»Was dich gleichzeitig zum Befehlshaber der Armee von Palanthas macht, wenn wir uns so entscheiden«, sagte der Herrscher. »Und wenn Astinus Euch empfiehlt. . .«
»Das tue ich nicht«, erwiderte Astinus barsch. »Ich kann niemanden empfehlen. Ich forme nicht die Geschichte . . .« Er hielt plötzlich inne, und Laurana war überrascht, die Maske von seinem Gesicht fallen und Trauer und Leid enthüllt zu sehen. »Das heißt, ich bemühe mich, nicht die Geschichte zu formen.
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