Die Chronik der Drachenlanze 5 + 6
verzweifelt. Das brachte sie auch nicht weiter! Er hatte immer noch keine Vorstellung davon, wo sie sich befanden. Er hatte gehofft, Berem könnte es ihnen sagen...Wieder sah sich Tanis in ihrer seltsamen Umgebung um. Sie waren in einem Zimmer eines offensichtlich uralten Gebäudes. Es wurde von einem sanften, schaurigen Licht beleuchtet, das von an den Wänden wie Tapeten hängendem Moos herrührte. Die Möbel waren so alt wie das Gebäude und in angeschlagenem, schäbigem Zustand, obwohl sie einst wertvoll
gewesen sein mußten. Es gab kein Fenster.Von draußen war nichts zu hören. Sie hatten keine Ahnung, wie lange sie schon hier waren. Sie hatten jegliches Zeitgefühl verloren, aßen zuweilen von den seltsamen Pflanzen und schliefen unruhig.
Tanis und Flußwind hatten das Gebäude erforscht, aber weder einen Ausgang noch ein lebendes Wesen entdeckt. Tanis fragte sich, ob über dem Ganzen nicht ein magischer Zauber hing, ein Zauber, der sie nicht hinausließ. Denn jedes Mal, wenn sie sich vorwärts wagten, führten die engen, kaum beleuchteten Korridore sie unausweichlich in dieses Zimmer zurück.
Sie erinnerten sich kaum an die Ereignisse, nachdem das Schiff im Mahlstrom versunken war. Tanis hatte die Holzplanken splittern hören. Die Maste waren niedergestürzt, die Segel zerrissen. Er hatte Schreie gehört. Er hatte gesehen, wie Caramon von einer gigantischen Welle über Bord gespült wurde. Er hatte Tikas rote Locken im Wasser wirbeln sehen, dann war auch sie verschwunden. Der Drache war dagewesen. . . und Kitiara... Er hatte noch Kratzer von den Krallen des Drachen am Arm. Dann war eine andere Welle gekommen... er hatte den Atem angehalten, bis er sicher war, daß seine Lungen bersten würden. Er hatte gedacht, daß der Tod einfach und willkommen wäre. Er trieb an die Oberfläche des wirbelnden Gewässers, nur um wieder hinabgezogen zu werden und zu wissen, daß es das Ende war . . .
Und dann war er an diesem seltsamen Ort in durchnäßten Kleidern wach geworden und hatte Flußwind, Goldmond und Berem vorgefunden.
Zuerst schien Berem Angst vor ihnen zu haben. Er hatte sich in eine Ecke verkrochen und sie nicht an sich herangelassen. Geduldig hatte Goldmond auf ihn eingeredet und ihm Essen gebracht. Allmählich hatte sie ihn mit ihrer Warmherzigkeit für sich gewonnen. Das und, wie Tanis nun erkannte, sein starkes Verlangen, diesen Ort zu verlassen, hatten den Ausschlag gegeben, sein Verhalten zu ändern.
Tanis hatte anfangs angenommen, daß Berem das Schiff in
den Mahlstrom gesteuert hätte, weil er diesen Ort kannte, daß er sie mit Absicht hierhergebracht hätte.
Aber jetzt war sich der Halb-Elf nicht mehr so sicher. Der verwirrte und verängstigte Blick Berems zeigte, daß er auch keine Ahnung hatte, wo sie waren. Die bloße Tatsache, daß er sogar mit ihnen sprach, war ein Indiz dafür, daß er die Wahrheit sagte. Er war verzweifelt. Er wollte hier heraus. Warum?
»Berem...«, begann Tanis, erhob sich und schritt im Zimmer auf und ab. Er spürte, daß Berems Blick ihm folgte. »Wenn du vor der Königin der Finsternis wegläufst, dann scheint das doch hier das ideale Versteck zu sein...«
»Nein!« schrie Berem.
Tanis wirbelte herum. »Warum nicht? Warum willst du unbedingt hier weg? Warum willst du dorthin zurück, wo sie dich finden wird?«
Berem krümmte sich auf seinem Stuhl. »Ich... ich weiß nichts über diesen Ort! Ich schwöre es! Ich... ich muß zurück... Es gibt einen Ort, wo ich hingehen muß. . . Ich suche etwas... Bevor ich es nicht finde, werde ich nicht zur Ruhe kommen.«
»Es finden! Was finden?« schrie Tanis. Er spürte Goldmonds Hand an seinem Arm, und er wußte, er tobte wie ein Wahnsinniger, aber es war so enttäuschend! Etwas zu haben, das der Königin der Finsternis die Macht über die Welt geben könnte, und nicht zu wissen, was es war!
»Ich kann es dir nicht sagen!« wimmerte Berem.
Tanis hielt den Atem an, schloß seine Augen und versuchte, sich zu beruhigen. In seinem Kopf hämmerte es. Er hatte das Gefühl, daß er in tausend Stücke zerbersten würde. Goldmond erhob sich. Sie legte beide Hände auf seine Schultern und flüsterte ihm besänftigende Worte zu, von denen er außer dem Namen Mishakal nichts verstand. Langsam verging das schreckliche Gefühl und ließ ihn leer und erschöpft zurück.
»In Ordnung, Berem.« Tanis seufzte. »Es ist alles in Ordnung. Es tut mir leid. Wir werden darüber nicht mehr reden. Erzähl mir von dir. Woher kommst du?«
Berem
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