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Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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zärtlichem Schnäbeln. Torak wurde mit einem Mal speiübel. Wie um alles in der Welt kam Rek hierher?
    Dieser Bogen. Dieses Wams.
    Renn .
    Es war Renns Unterschlupf! Ihr Köcher. Ihre Pfeile. Dort drüben lag ein Stück zerkrümelter Lachsfladen für Rek. Und natürlich hatte sie nicht vergessen, ihre restlichen Vorräte vor dem nimmersatten Raben zu schützen, und zur Sicherheit eine Axt quer über den Beutel gelegt.
    Sie hatte ihre Waffen zurückgelassen. Das konnte nur eines bedeuten: Sie musste ganz in der Nähe sein.
    Torak war mit einem Mal angst und bange. Im Winter konnte man sich in einem solchen Sturm im Nu verirren und ums Leben kommen. In jedem Clan gab es Geschichten von Unglücklichen, die sich im Schneesturm verlaufen und die man später erfroren gefunden hatte – nur ein paar Schritte vom Lager entfernt.
    Neben das Feuerholz hatte Renn einige Holzspäne gelegt, die als Fackeln dienten. Torak bohrte einen davon in das Feuer, um ihn zu wecken. Dann ließ er Raben und Ausrüstung im Unterschlupf zurück, packte seine Axt und warf sich hinaus in den Sturm.
    »Renn!«, schrie er.
    Sie hätte neben ihm stehen können, ohne dass er sie gesehen hätte.
    Äste prasselten auf ihn nieder, als er den Lagerplatz absuchte. In geduckter Haltung ging er einmal um den Unterschlupf herum. Seine Fackel erlosch. Er konnte kaum einen Schritt weit sehen.
    Er drehte eine zweite Runde und erweiterte den Kreis ein wenig. Nichts.
    Beim dritten Rundgang beleuchtete ein Blitzstrahl die umgestürzte Stecheiche. Durch die Zweige schimmerte etwas Rotes.
    Er fiel auf die Knie, riss die Äste beiseite. » Renn !«

Kapitel 10

    Renn schien nicht mehr zu atmen. Ihre Augen waren geschlossen, die Lippen blau gefärbt. Erst als Torak sie in den Unterschlupf getragen und die Hand an ihren Hals gelegt hatte, spürte er einen Hauch von Leben.
    Er rief ihren Namen. Sie rührte sich nicht. Die Kälte hatte dafür gesorgt, dass sie sich tief in sich selbst zurückgezogen hatte. Wenn er sie nicht wieder warm bekam, würde sie sterben.
    Ihre Kleidung war steif gefroren. Torak zog ihr die Kapuzenjacke über den Kopf und riss sich den eigenen Parka samt dem Wams vom Leib. So schnell wie möglich streifte er ihr die Sachen über. Dann zog er ihr die Beinlinge aus, legte Renn in den Schlafsack und untersuchte Gesicht, Hände und Füße nach wächsern aussehenden Stellen, konnte aber nichts entdecken.
    Er nahm einen Stock, rollte einen der Steine aus dem Schutzring um das Feuer und wickelte seinen leeren Wassersack darum. Anschließend legte er ihn in den Schlafsack auf ihren Bauch. Zum Schluss entrollte er seinen Schlafsack, legte ihn um ihre Schultern und rieb ihr den Rücken, um sie wach zu bekommen.
    Ihre Lider flatterten. Sie sah ihn an, ohne ihn zu erkennen.
    Er ließ einen heißen Stein in den Wassereimer fallen. Eine Dampfwolke stieg zischend auf. Er leerte seinen Medizinbeutel, las getrocknete Spierstrauchblätter zusammen und gab sie ins warme Wasser. Kurz danach goss er etwas von der warmen Kräuterbrühe in seinen Trinkbecher, hielt Renns Kopf hoch und flößte ihr einige Tropfen ein. Sie spuckte. Er setzte den Becher erneut an ihre Lippen. Sie fing an zu zittern. Toraks Angst ließ ein wenig nach. Zittern war ein gutes Zeichen.
    Der Unterschlupf war klein und beengt, er musste geduckt neben ihr sitzen, einen Arm um ihre Schulter gelegt. Nachdem er ihr erneut zu trinken gegeben hatte, stahl sich ein wenig Farbe auf ihre Wangen und ihr Mund sah nicht mehr so schrecklich blau aus. Als sie ihn abermals ansah, erkannte sie ihn.
    »Bald geht es dir wieder besser«, sagte er. Er musste es unbedingt aussprechen, schon um sich selbst Mut zu machen.
    Ihr Blick wanderte zu dem Verband an seiner Stirn. »Du hast mich gefunden«, murmelte sie.
    »Und du hast den Unterschlupf gebaut. Rip hat mich hergeführt.«
    Der Rabe streckte selbstgefällig den Kopf vor.
    Torak schabte, so gut es eben ging, das Eis von ihren Jacken. Er legte Renns Jacke zum Trocknen an die Feuerstelle und zog sich seine eigene um die Schultern. Auf seinem bloßen Oberkörper fühlte sie sich unangenehm kalt an. Dann verteilte er ein paar Lachsfladen.
    Renn gab den Raben ein Stückchen davon ab und dankte Rip feierlich, weil er Torak zu ihr geführt hatte. Anschließend aß sie selbst und hielt den Fladen dabei mit beiden Händen wie ein Eichhörnchen. Inzwischen hatte sie sich aufgesetzt, und die Ärmel von Toraks Jacke, die ihr viel zu lang waren, hingen ihr über die Hände.

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