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Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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in einem eisigen Grab lag.
    Renn schlängelte sich an ihm vorbei und erreichte die Stelle zuerst.
    Toraks Welt schrumpfte zusammen, bestand nur noch aus dem bisschen grauen Fell unter dem Felsen.
    Wie von ferne ertönte Renns Stimme: »Das ist nicht Wolf.«
    Sie kroch rückwärts unter den Ästen hervor und hielt einen Streifen mit Wolfsfell im Fäustling.
    Es war ungefähr eine Hand breit, zusammengerollt und gefroren.
    »Jemand hat es absichtlich dort hingelegt«, sagte sie. »Jemand, der wollte, dass wir es finden. Sieh mal, es ist gegerbt und an den Rändern sind die Löcher zum Zusammennähen. Wahrscheinlich die Überreste des Fells eines Totemtieres.«
    »Stimmt.« Torak nahm ihr den Streifen aus der Hand. Das gefrorene Fell knirschte und ein Gegenstand fiel heraus. Die Erde schien stillzustehen, als er das kleine geschnitzte Robbenamulett aus blauem Schiefer aufhob. Die Drehung des schmalen Kopfes kannte er nur allzu gut, er hatte die winzigen Krallen an den Flossen oft genug gezählt. »Das hat meinem Vater gehört«, murmelte er.
    Renn sah ihn entgeistert an.
    »Seine Mutter war vom Robbenclan. Er hat es immer getragen.« Er schluckte. »Er wollte mir ein Zeichen geben. Er hat mich um Hilfe gebeten. Und ich habe ihn im Stich gelassen und stattdessen nach Wolf gesucht.«
    »Das war richtig«, sagte Renn. »Wolf braucht dich.«
    »Ich habe Fa im Stich gelassen, darum hat er das Amulett für mich hierher gelegt.«
    »Nein.« Ihre Stimme klang streng und bestimmt. »Das waren Tokoroths.«
    »Das kannst du doch gar nicht wissen!«, fuhr er sie an. »Wie soll das möglich sein?«
    »Ganz sicher bin ich mir auch nicht, aber eines weiß ich genau: Eostra hat ihre Tokoroths, ihre Eule und den Eissturm geschickt, weil sie uns trennen wollte – und es ist ihr nicht gelungen. Genauso wenig wie es ihr gelingen wird, uns von Wolf zu trennen.«
    »Und Fa?«, fragte er. »Was ist mit Fa?«
    Nach einem Blick auf den zerstörten Wald sah sie ihn an. »Vielleicht ist er es nicht gewesen.«
    »Und wenn er es doch war? Was dann?«
    »Selbst dann«, entgegnete sie entschieden, »war es immer noch richtig, Wolf zu folgen. Denn Wolf ist am Leben. Dein Vater ist tot. Man soll sich nicht mit den Toten einlassen.«
    Torak funkelte sie wütend an, aber sie war unerschütterlich.
    »Dein Vater ist tot, Torak. Nichts auf der Welt kann ihn wieder lebendig machen. Aber Wolf braucht dich.«
    In angespanntem Schweigen stapften sie zum Unterschlupf zurück und sammelten dort so viel Feuerholz, wie sie zu tragen vermochten. Renn fertigte Schneemasken aus Rehleder mit Schlitzen darin an, die sie vor dem Glast schützten. Torak überprüfte derweil die Vorräte. Ein Beutel mit Haselnüssen, mehrere Lachsfladen, geräucherte Pferdefleischstreifen und Preiselbeeren. Als er Fas Totemtierfell mitnehmen wollte, schüttelte Renn den Kopf. »Nein, Torak. Du darfst nichts nehmen, was einem Toten gehört hat.«
    Er gab nach, bestand allerdings darauf, das Robbenamulett zu behalten. Als Renn seine Miene sah, widersprach sie nicht, verlangte jedoch, dass er das Amulett in Ebereschenrinde einwickelte, bevor er es in seinen Medizinbeutel steckte. Obwohl Torak spürte, wie gern sie sich mit ihm versöhnt hätte, hüllte er sich in störrisches Schweigen. Sie hatte den Geist seines Vaters in der Nacht nicht rufen hören. Wie konnte sie ihn da verstehen?
    Der Eissturm hatte zwar alle Fährten getilgt, aber gestern war Wolf nach Süden gelaufen, daher schlugen sie dieselbe Richtung ein.
    Sie kamen nur mühsam voran. Das Eis war die tückische Schwester des Schnees. Kaum hatten sie sich durch die gefrorenen Zweige gearbeitet, schon schleuderte es ihnen scharfkantige Eissplitter ins Gesicht. Auf jeden Sturz folgte prompt die Strafe. Bald waren sie mit blauen Flecken übersät.
    Bisweilen blieb Torak stehen und heulte. Wo bist du, Rudelgefährte! Der eisige Wald warf sein Heulen unbeantwortet zurück.
    Schließlich erreichten sie einen vereisten Fluss. Torak sah eine im Schilf erfrorene Stockente, deren grün schillernder Kopf mit einer Eisschicht überzogen war. Er legte die Hände an die Lippen und heulte.
    Keine Antwort.
    Die Eisdecke auf dem Fluss war derart glatt, dass ihnen nichts anderes übrig blieb, als auf allen vieren hinüberzurutschen. Am anderen Ufer versperrten umgestürzte Birken den Zugang zum Ufer. Sie hatten keine andere Wahl, als weiter flussaufwärts zu gehen.
    Torak heulte, bis er heiser war.
    »Du darfst nicht aufhören«, sagte Renn. »Er

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