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Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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gelingen.«
    Seite an Seite lauschten sie, wie der Eissturm mit unverminderter Wut auf den Wald eindrosch. Nach einer Weile schlief Renn ein, Torak jedoch blieb wach. Im Augenblick waren er und Renn in Sicherheit. Wolf hingegen steckte irgendwo dort draußen, dem Sturm schutzlos preisgegeben. Der Bund zwischen ihm und seinem Rudelgefährten kam ihm mit einem Mal wie ein dünner Faden vor, der sich durch die Nacht spannte – und Eostras eisige Hand streckte sich aus, um ihn zu zerreißen.

Kapitel 11

    Das Harte Weiße Kalt verwüstete den Wald. Es zermalmte die Bäume und riss die Vögel aus dem Oben. Und es ging mit eiskalten Klauen auf Wolf los.
    Sollte es doch. Wolf kümmerte es nicht, was mit ihm geschah.
    Er lief seit einer Ewigkeit, suchte die Fährte der Adlereule, horchte angestrengt auf ein Wimmern seines Jungen. Vergebens. Das Harte Weiße Kalt hatte alle Hoffnung verschlungen.
    Er erreichte einen Hügel mit brüllenden Kiefern. Dort, verborgen unter einem Findling, lag eine kleine Höhle. Ohne vorsorglich nach Bären zu schnüffeln, lief er hinein und ließ sich auf zerbrochenen Knochen und alter Losung nieder.
    Wolf wusste, dass Groß Schwanzlos nach ihm suchte, aber nicht einmal der Gedanke an seinen Rudelgefährten rüttelte ihn auf. Dunkelfell und die Jungen waren verschwunden. Wolf sehnte sich nach ihnen, er wollte bei ihnen sein – aber sie waren Ohn-Hauch. Er begriff einfach nicht, wie das möglich sein konnte. Dunkelfell und die Jungen waren … nicht .
    Wolf schloss die Augen. Auch er wollte nicht sein.
     
    Torak erwachte von der vollkommenen Stille.
    Er fror. Das Feuer war halb eingeschlafen und das Dach des Unterschlupfes bis dicht über seinen Kopf eingesunken. In dem tiefen Schweigen ringsum hörte sich sein eigener Atem unnatürlich laut an und er legte sich frostig über sein Gesicht.
    Torak hackte die zugefrorene Tür auf und weckte Renn, die sich ruckartig aufsetzte, bevor er sie warnen konnte, und sich tüchtig den Kopf am Dach stieß.
    Er holte tief Luft und kroch hinaus in das grelle Gleißen und den zu Eis erstarrten Wald.
    Der Sturm hatte die Bäume enthauptet und das, was von ihnen noch stehen geblieben war, in glitzernde Stachel verwandelt. Aus Hainen waren Hügel entwurzelter, kreuz und quer liegender Stämme geworden. Bäume, Äste, Blätter: Sie alle waren in Eostras Eisgefängnis eingeschlossen.
    Torak richtete sich langsam auf und machte ein paar zögernde Schritte. Der gefrorene Boden war hart wie Stein. Bei jedem Atemzug stach die Kälte mit Pfeilspitzen in seine Lunge und knisterte in seiner Nase. Das grelle Weiß bohrte sich ihm wie Messerklingen in die Augen. Wohin er sich auch wandte, sah er nichts als umgestürzte, glitzernde Bäume. Der zerstörte Wald war von einer entsetzlichen Schönheit.
    »Spürst du ihre Seelen?«, fragte Renn hinter ihm.
    Er nickte. Ein leises Zittern erfüllte die Luft, als die Seelen der toten Bäume nach einer neuen Heimstatt suchten.
    »Sie können nicht in die jungen Bäume«, sagte Renn. »Das Eis hat die Stämme versiegelt.«
    »Wohin sollen sie jetzt gehen?«
    »Ich weiß es nicht. Hoffentlich taut es bald.«
    Torak zweifelte daran. Eine tote, windstille Kälte lastete schwer auf dem Wald. Die Hand Eostras.
    Er beschirmte die Augen mit der Hand und sah hangabwärts ein junges Rentier. Es ging wacklig auf dünnen Beinen voran, völlig verschreckt von dieser tückischen neuen Welt. Die hungrige Mutter des Jungtieres scharrte vergeblich mit den Vorderhufen im Boden. Die Eisdecke war undurchdringlich.
    Torak musste an die Lemminge denken, die in ihren gefrorenen Erdhöhlen saßen wie in einer zugeschnappten Falle; an die Biber, gefangen in ihren Bauten.
    Er dachte an Wolf.
    Rip und Rek kamen aus dem Unterschlupf geflogen. Als sie auf einem Zweig landeten, rieselte eine Kaskade von Eiskristallen herab. Es dauerte lange, bis das Echo in der Stille verhallte.
    Dann hörte Torak Renn seinen Namen rufen. Ihre Stimme war schrill vor Entsetzen.
     
    Sie kauerte etwa zehn Schritte entfernt im Windschatten eines Findlings und spähte durch die Äste einer Fichte, die gegen den Felsen gestürzt war. Als Torak sich näherte, rief sie warnend: »Warte. Schau lieber nicht…«
    Er schob sie beiseite. Durch die Äste sah er ein Stückchen graues Fell, mit schwarzen Deckhaaren. Wolfsfell.
    Renn zog ihn am Arm, doch er schüttelte sie wortlos ab. Er riss die Äste zur Seite, wühlte sich tiefer hinein und wollte nur eines: zu dem vordringen, was dort

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