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Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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zweigeteilt, der aus dem Boden aufragte.
    »Welchen Tunnel nehmen wir?«, fragte Renn.
    »Keine Ahnung. Die scheinen alle falsch zu sein. Ich glaube –«
    »Keine Ahnung?« Renn schob sich an ihm vorbei, rannte auf den ersten Tunnel zu und legte ihre Hände auf den Eingang, wobei sie es tunlichst vermied, die steinernen Zähne anzufassen. Der Fels pochte unter ihren Handflächen von der unreinen Hitze der Anderen Welt.
    Sie rannte zu dem Tunnel mit dem Steinspeer, wo sie dieselbe, pulsierende Dämonenhitze spürte.
    Verzweifelt kletterte sie auf den Stumpf und ließ die Finger über die dritten Öffnung wandern. Einen Augenblick schien der Fels unter ihren Fingern nachzugeben, als rissen die Dämonen dahinter ihre Mäuler auf, um zuzubeißen.
    Sie wich zurück. »Hinter allen dreien sind Dämonen.«
    »Genau das wollte ich dir ja sagen«, erwiderte Dark.
    »Welchen nehmen wir also?«
    »Rühr dich nicht«, sagte er lauter.
    »Was?«
    »Pst!« Er reckte die Fackel in die Höhe.
    In einem Riss über ihnen erblickte Renn eine weitere Steineule. Ihre Augen waren geschlossen, die buschigen Ohren aufgestellt.
    »Kletter herunter, so leise du kannst«, sagte Dark.
    Die Eule öffnete die Augen und fauchte sie an.
    Renn schrie auf, stürzte und riss Dark nach hinten. Die Fackel flog ihm aus der Hand. Kurz bevor sich die Finsternis über sie legte, sah Renn, wie die Adlereule die Flügel spreizte und davonglitt.
    Stille. Ein entferntes Platschen.
    »Das war die Fackel«, sagte Dark.
    »Hast du noch eine?«
    »Nein.«
    Renn kam keuchend auf die Beine. »Was machen wir denn jetzt?«
    »Ich weiß nicht.«
    Renn biss sich auf die Knöchel. Irgendwo in diesem schrecklichen Berg stand Torak Eostra allein gegenüber.
    Eine kalte Hand strich über ihr Handgelenk.
    »Bist du das?«, flüsterte sie.
    »Was?«, fragte Dark ein paar Schritte entfernt.
    Ein eisiger Finger berührte ihren Nacken.
    »Hör auf!«, schrie sie.
    »Ich hab nichts gemacht!«
    Renn kniff die Augen zu. Schlug sie wieder auf. Sie konnte sehen. Es war in dieser Dunkelheit unmöglich, und doch – sie konnte sehen! »Siehst du das auch?«, hauchte sie.
    »Ich sehe es« sagte Dark sanft. »Aber ich weiß nicht, wer das ist.«
    Renn wusste es. Es war eine undeutliche Helligkeit, wie in feinen Nebel gehüllt, und doch schien es eigenes Licht zu verströmen, wie es Geister eben so an sich haben. Renns Angst erlosch. Zurück blieb nur ein dumpfes Gefühl des Verlustes.
    Vor ihr stand die runzlige Gestalt, gegen die sie sich ihr ganzes Leben lang aufgelehnt hatte. Zum letzten Mal saugte sie den harten Blick auf; den lippenlosen Mund, den niemand je hatte lächeln sehen.
    Geräuschlos streckte sie einen gebrechlichen Arm aus und zeigte auf den Tunnel mit dem Steinspeer.
    »Ich danke dir«, murmelte Renn. »Ich danke dir… und möge der Clanhüter mit dir fliegen.« Sie legte beide Hände auf ihre Stammesfedern und verneigte sich vor dem Geist der Rabenschamanin.
    Als sie sich aufrichtete, war er verschwunden.
    Renn rückte Köcher und Bogen auf der Schulter zurecht, dann streckte sie die Hand aus und ergriff die von Dark. »Komm«, sagte sie. »Jetzt wissen wir, welches der richtige Weg ist.«

Kapitel 35

    Torak stürzte einen Wasserfall aus Stein hinunter. Der Boden kam ihm rasch entgegen. Schmerzen flammten in seiner Schulter und seinem Schädel auf.
    Er blieb liegen und rührte sich nicht. Sein Wangenknochen schmerzte brutal, aber immerhin konnte er Arme und Beine bewegen. Außerdem hatte er sein Messer festgehalten.
    Über ihm verschwand der steinerne Wasserfall in der Dunkelheit. Unbezwingbar. Kein Weg zurück. Wenigstens ist Wolf nicht hier, dachte er. Wenigstens hat er die Chance, hier wieder rauszukommen.
    Er hatte das Gefühl, sich in einer ausgedehnten, dunklen Höhle zu befinden. Hier war das Gestein einst wie Honig geflossen, war getropft, hatte sich gesammelt und war dann erstarrt. In sich gedrehte steinerne Zähne hingen von der Decke; andere wuchsen ihnen aus dem Boden entgegen. Wie ein Gebiss, dachte Torak. Es beißt uralter steinerner Mund. Ich bin im Maul des Berges.
    Irgendwo glomm Feuerschein. Torak lauschte dem Flüstern des Wassers tief unter ihm. Von viel näher war das rhythmische Klappern von Knochen zu hören. Eine Stimme sang in beschwörendem Ton.
    Kraft der Knochen
Und Kraft des Steins
Und Kraft des dämonischen Auges
Ruft Eostra die Ruhelosen Toten
Eostra bindet sie an sich!
    Torak stolperte auf das Licht zu. Sich zu verstecken hatte

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