Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)
gezogen und in den Bogen eingelegt.
»Nicht schießen!«, rief eine Stimme.
Renns Zugarm spannte langsam die Sehne.
Biegsam wie ein Baummarder ließ sich eine Gestalt über die Felskante gleiten und begann hinabzuklettern.
Renn holte tief Luft, ohne den Bogen zu senken.
Die Gestalt bewegte sich mit geradezu unheimlicher Geschwindigkeit nach unten, sprang das letzte Stück auf den Boden und drehte sich rasch zu ihr herum. Zwischen zwei Herzschlägen nahm sie verwundert ein knochenbleiches Gesicht und ein Büschel weißer Haare wahr.
»Bist du Renn?«, keuchte der Junge.
Vor Staunen blieb ihr der Mund offen stehen.
»Schnell!« Er packte sie am Handgelenk. »Wir müssen Torak retten!«
Kapitel 33
Flammen zuckten. Schatten bäumten sich auf. Das Tokoroth auf seinem Steinpfeiler umklammerte eine spuckende Fackel und funkelte Torak böse an.
Torak sah Fangzähne aufblitzen und Haare, die sich vor lauter Läusen von alleine zu bewegen schienen. Er sah Augen, eulenhaft starr und mit Kalkstein ummalt. Dann hüpfte das Geschöpf mitsamt der Fackel davon und stürzte ihn in Dunkelheit.
Er streifte die Fäustlinge ab, zog sein Messer und folgte ihm.
Der Tunnel war kalt. Torak ertastete seinen Weg durch eine feuchte Atemwolke. Schatten huschten umher. Seine Hände streiften über Fels, zerfurcht und schleimig wie Eingeweide. In einer Spalte entzog sich etwas Schuppiges seiner Berührung.
Er spürte die gewaltige Schwere des Berges um sich herum. Er war jetzt mitten drin: in diesem riesigen, uralten Wesen, das nur zu zucken brauchte, um ihn zu Brei zu zerquetschten.
Hinter sich hörte er das gedämpfte Klackern von Wolfs Krallen. Er war knurrend stehen geblieben und hatte nicht versucht, das Tokoroth anzugreifen; vielleicht hatte er gespürt, dass es außer Reichweite bleiben würde. Torak war beunruhigt, weil das Tokoroth Wolf gar nicht beachtet hatte; gerade so, als wüsste es, dass von ihm keine Gefahr ausging.
Beim Weitergehen bereute Torak bereits, dass er seinen Rudelbruder mitgenommen hatte. Eostra würde Wolf nie erlauben, mit in die Flüsterhöhle zu kommen. Sie würde einen Weg finden, sie zu trennen – und Wolf dann töten.
Er fragte sich, wie viele andere Tokoroths hier noch lauern mochten. Wo war Eostras Rudel? Ihre Eule?
Er bückte sich und fragte Wolf, ob dieses Dämonenjunge das einzige sei.
Mehr , antwortete Wolf, und seine Barthaare streiften Toraks Lider. Kann nicht riechen, wo.
Vor ihnen bleckte das Tokoroth die Zähne und fauchte sie an, ihm nachzukommen.
Sie gingen weiter, immer bergab. Die Kälte ließ nach. Torak spürte einen Schwall warmer Luft aufsteigen. Seltsame Zeichen ragten ihm aus der Dunkelheit entgegen. Ein Zickzack aus Kalkstein. Ein gelber Handabdruck. Eine beängstigende Kohlekreatur mit vielen Gliedern. Waren sie als Warnung gedacht? Oder waren sie hier, um die Dämonen hinter den Felsen zurückzuhalten?
Seine tastenden Finger fanden ein Nest voller Kieselsteine, glatt und rund wie Augen. Eine Erinnerung aus der Zeit vor drei Sommern stieg in ihm auf: das Rätsel der Nanuak. Ertrunkene Augen im tiefsten Grund.
Wuff!, machte Wolf leise hinter ihm.
Das Tokoroth verschwand um eine Ecke.
Torak tastete sich weiter – und blieb dann ruckartig stehen.
Feuerschein glomm hinter einem Bogen aus weißem Stein; darauf im Halbkreis lauter rote Handabdrücke: Geh zurück, geh zurück!
Dann ging plötzlich alles blitzschnell: Torak sah das Tokoroth die Fackel in einem Becken löschen und den Steinbogen hinaufklettern; etwas krachte hinter ihm herab … eine Wand aus Rohleder, die ihm den Rückweg versperrte. Auf der anderen Seite jaulte und kratzte Wolf, der zu ihm wollte. Torak versuchte, die Trennwand aufzuschlitzen, doch sein Messer glitt an dem robusten Leder ab. Das Tokoroth ließ sich wie eine Spinne auf ihn herabfallen und drückte ihm die Finger in die Augen. Als Torak in die Knie ging, zog es seine Kapuze nach hinten, um ihn zu erdrosseln. Torak stach mit dem Messer nach ihm. Das Tokoroth wich zurück und ließ seine Kapuze los. Torak packte es am Arm und verdrehte ihn. Das Tokoroth wand sich aus dem Griff und war im Nu durch den Steinbogen verschwunden wie ein böser Spuk.
Keuchend erhob sich Torak wieder. Ihm war schlecht von dem Gestank des Dämons. Er stolperte und trat einen Schritt nach hinten.
Ins Nichts.
Wolf sprang vor und schnappte nach den Dämonenjungen, die ihrerseits mit großen Steinklauen auf ihn losgingen.
Wolf tat so, als würde er in eine
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