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Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)

Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)

Titel: Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Keller
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eingeschmolzen und zu Werkzeugen verarbeitet und Geld war da auch keines zu holen, aber im Dorf gab es bestimmt genug wertvolle Dinge, die man noch gebrauchen könnte.“
    „ Macht Euch darüber keine Gedanken. Die heimkehrenden Kinder sind das wertvollste Geschenk, das die Hürnin bekommen können. Und es ist nicht mehr weit. Nur noch ein paar Tage und wir müssten die Sümpfe sehen. Von da an geht es leichter. Kein Wald mehr. “
    „ Sümpfe hören sich aber ganz und gar nicht nach einer Erleichterung an.“
    „ Keine Angst, Herr, in den Sümpfen kenne ich den richtigen Weg, Ihr habt dort nichts zu befürchten. “
    Während er an den Rändern der Lichtung trockenes Laub zusammensuchte und sich daraus im gespaltenen Baumstamm ein Nachtlager auspolsterte, führte ich mir die Veränderungen vor Augen, die in und mit Erich vor sich gegangen waren. Er hatte es akzeptiert ein Hürnin zu sein. Er sprach mit mir, wie er es mit seinesgleichen tun würde und er erschrak nicht mehr vor mir, wenn ich mich ihm zeigte.
    Auch sein Körper hatte sich verändert. Er war schon zuvor kein dickes Kind gewesen, so etwas hatte es bei ihm im Dorf auch gar nicht gegeben, aber die Tage ohne regelmäßige Mahlzeiten und voll unablässiger Bewegung hatten seine Haut straffer um die Muskeln gezogen und seine Bewegungen sparsamer werden lassen. Seine Schritte fanden zielsicher ihren Weg und seine Beinmuskeln hatten es längst aufgegeben, sich noch Tage später über die weiten Strecken zu beschweren, die sie zu überwinden hatten. Sie schmerzten jeden Abend, aber Erich war jedes Mal schon eingeschlafen, bevor ihm das vollends ins Bewusstsein dringen konnte – zumindest wenn er satt war.
    Dennoch war ich froh darüber, dass wir insgesamt nicht länger als drei Wochen unterwegs waren. Noch gab es genügend Beeren, Pilze und herumliegende Nüsse, so dass Erich nicht verhungern musste, aber je länger eine Reise zurück nach Hornhus dauerte, desto mehr Gefahren brachte sie mit sich. Nicht nur für einen jungen Hürnin und seinen Horndämon, sondern für alle Hürnin. Denn neben dem Moment, in dem ein Hürnin auf einer Schwelle oder an einem Brunnen gefunden wurde, hatte er in dieser Zeit am meisten zu verlieren und wusste am wenigsten, wie er es verteidigen konnte. Was, wenn uns jemand folgen und so Hornhus entdecken würde? Ich kannte Gerüchte von Hürnin, die jahrelang umhergeirrt waren, bis sie schließlich ihren Weg nach Hornhus finden konnten oder schließlich starben, ohne ihre wirkliche Heimat je kennen gelernt zu haben. Andere versuchten wirkliche oder eingebildete Verfolger in die Irre zu führen und wenn das nichts nützte, griffen sie diese an. Aber wer hatte mir davon erzählt? Ich wusste es nicht, egal wie sehr ich mich zu erinnern versuchte.
    Drei Wochen waren wir also unterwegs, bis Erich den Pass erreichte, der ihn hinunter in die Sümpfe führte. Auch wenn er genug zu Essen gefunden hatte, schreckte noch immer jede Nacht zwei- oder dreimal aus dem Schlaf hoch, weil ihn die erschlagenen Dorfbewohner bis in seine Träume verfolgten, aber nachdem ich ihm versicherte, dass er nichts zu befürchten hatte schlief er meist ruhig weiter. Bis zum nächsten Alptraum. Ich konnte nichts dagegen tun, hatte schon meine Probleme damit zu verstehen, was ein Alptraum überhaupt war. Dämonen träumten nicht. Wir schliefen noch nicht einmal. Und seine Träume blieben auch dann, als es leichter wurde voranzukommen.
    Eine alte Straße schlängelte sich zwischen bewaldeten Steilhängen hindurch und obwohl hier und dort vom Wasser glatt geschliffene Felsen aus dem Erdreich ragten, waren die schroffen Gipfel des Hochgebirges noch fern. Zu beiden Seiten stieg das Land steil an, aber ab der Passhöhe, die Erich nun erreicht hatte, ging es nur noch nach unten. Die Straße machte einen scharfen Bogen um sich dann in Serpentinen hinunter zu den Sümpfen zu winden und Erich nahm sich einige Augenblicke, um den Anblick, der sich ihm bot in sich aufzunehmen.
    Dabei war es ein alles andere als überwältigender Anblick. Was überhaupt hinter den Nebelschwaden zu erkennen war, sah aus wie schlecht geschöpftes Büttenpapier. Grau und fleckig lag das mit Tümpeln und Seen gefleckte Land unter uns, nur hier und da unterbrochen von einem Wäldchen oder einem Beerendickicht. Der klagende Ruf eines Sumpfvogels klang von den Hängen hin- und hergeworfen zu uns herauf und Erich setzte sich wieder in Bewegung, ganz so als ob er nur auf dieses Signal gewartet

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