Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)
hätte.
Mit viel Fantasie – oder eher Einbildung – konnte man erahnen, wo sich einst das Herz des Hürninreiches befunden hatte. Heute war es ein Land, das nur noch mit Nebel bebaut und von Ahnungen bevölkert war und als ich anfing über seine Geschichte zu sprechen, war ich beinahe ebenso verwundert darüber wie Erich. Ich wusste, was hier passiert war. Ich wusste von den Generälen der Hürnin und der Allianz, die sich ihnen entgegengestellt hatte. Diese Allianz der Heere hatte sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, eine Erinnerung an ihren Sieg zurückzulassen und ein Mahnmal aus Erz oder Stein aufzustellen, wie es sonst in Kriegen üblich war. Die totale Zerstörung war lange Jahre völlig ausreichend, um daran zu gemahnen, was hier vor langer Zeit geschehen war. Man war sich des Siegs so sicher und des Krieges so überdrüssig, dass man darauf verzichtet hatte Kastelle zu errichten oder Wachen an den zerstörten Grenzen zurückzulassen. Man hielt es für besser die Hürnin ein für alle Mal zu vergessen. Ihr Tod sollte dadurch besiegelt werden, dass man sie totschwieg. Eine Rechnung, die noch nie aufgegangen war.
Aber ich wusste, dass es noch genug Menschen gab, die sich ihrer erinnerten und wussten, wie gefährlich die Hürnin waren. Wir mussten uns nicht davor fürchten, aufgehalten zu werden, sondern vielmehr davor, dass man uns heimlich folgte. Ich wusste auch, dass ich meinen Herrn eher töten musste als zuzulassen, dass er einen Fremden nach Hornhus führte. Denn es gab noch immer Augen, die wachsam auf das untergegangene Reich der Hürnin blickten. Augen, die selbst nicht gesehen werden wollten.
Erich hatte keine Ahnung, wo sich sich einst die Mauern von Städten emporgereckt und wo Straßen das Tal durchzogen hatten und es hätte auch keinen Sinn gemacht ihn darauf hinzuweisen. Ich glaube er verstand auch so, dass hier etwas von wenigen versucht und von vielen zunichte gemacht worden war. Und selbst wenn er es nicht zur Gänze verstand, er verstand genug. Es machte so oder so keinen Unterschied. Er war ein Hürnin und er war fast zu Hause angekommen. Nur noch der Sumpf trennte ihn von der letzten Siedlung der Hürnin.
Dort, inmitten einer Insel aus höher gelegenem Terrain lag Hornhus, die Ruine der alten Hauptstadt der Hürnin. Es war nicht die letzte Hauptstadt. Nicht die, in der ihr letzter König residierte, sondern die Stadt, wo seine Linie ihren Anfang genommen hatte. Dort, wo lange vor dem Aufstieg der Hürnin aus Bauern erst Krieger und Ritter, dann Adelige und schließlich Fürsten geworden waren. Die erste Hauptstadt der Hürnin. Die, in der sie ihr Schicksal geschmiedet hatten.
Unbemerkt von der Welt war Leben in die geborstenen Steine zurückgekehrt. Still und heimlich hatte man den Block, den einst die erstarrte Lava eines Vulkans geschaffen hatte, so weit es der Grundwasserspiegel zuließ, ausgehöhlt und darin eine zweite Stadt geschaffen, kleiner aber prächtiger als die erste. Hornhus war nun nicht mehr die Stadt auf dem Vulkan, sondern im Vulkan.
Schon vor dem Bau des ursprünglichen Stadt hatte es dort unten unzählige Höhlen und Spalten gegeben, aber erst nach dem Fall der Hürnin hatte man sie planmäßig miteinander verbunden und erweitert. Auch die wenigen sicheren Wege durch den Sumpf wurden sorgfältig gewartet, aber obwohl die Sümpfe von allen höheren Lebensformen verlassen schienen, fühlte ich mich beobachtet. Ich glaube auch Erich bemerkte es.
Wir verloren zwei Tage, weil wir einen der wenigen verbliebenen Pfade beschreiten mussten, die nach dem Krieg noch gangbar waren. Die Hürnin hatten sie so angelegt, dass es einem Feind unmöglich war sich Hornhus auf direktem Weg und unbemerkt zu nährern. Hier gab es keine Bäume oder größere Büsche. Rings um uns erstreckten sich so weit das Auge reichte nur die kalten Eingeweide der Sümpfe. Ganze Armeen hatten hier ihr feuchtes Grab gefunden und ein falscher Tritt genügte, um ihnen zu folgen. Ich erzählte Erich nichts von den aufgedunsenen oder vom Torf zu schwarzem Leder gegerbten Toten, die ihn auf jedem Schritt begleiteten. An einigen Stellen gab es mehr Schichten aus Leichen als aus Torf. Aber das war eine Geschichte, die man besser in Gesellschaft und an einem wärmenden Kaminfeuer erzählte, wenn überhaupt.
Zum Hunger gesellte sich nun die Kälte zu Erich. Erich gab vor nichts zu spüren, aber er konnte es ebenso wenig verberge wie seine wachsende Neugier, Ungeduld und Anspannung. Die Nächte in den
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