Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)
Sümpfen machten ihm nicht viel aus. Ich sorgte dafür, dass er es einigermaßen erträglich hatte und ihm keines der Geschöpfe, die hier lebten, im Schlaf zu nahe kam. Aber gegen die Lichterscheinungen und Geräusche, die wie groteske Parodien auf Blitz und Donner durch die Dunkelheit geisterten, konnte ich nichts ausrichten. Ich war noch nicht einmal in der Lage sie zu erklären. Erich ließ sich von ihnen aber ohnehin bald nicht mehr ängstigen. Er betrachtete sie eine Weile und schlief dann mit diesem unwirklichen Anblick vor Augen ein. Fast schien es mir, als ob er Trost aus dem kalten Licht zog.
Schlimmer als die Nächte waren für ihn die Tage. Jeden Morgen begann jedes Mal aufs Neue der Kampf gegen die Erschöpfung und das Ringen um jeden Schritt, der Erich näher an Hornhus heranbrachte. Seit Tagen hatte er nichts mehr gegessen, was der Rede wert war und er trank das abgestandene Sumpfwasser nur mit Widerwillen. Hier gab es kaum etwas, das man jagen konnte und selbst wenn es Erich schaffte einen blinden Fisch oder einen Lurch zu fangen, gab es nichts, womit er hätte Feuer machen können. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen schmeckte roher Lurch nicht besser als Drachenrotz.
Am dritten Tag erfuhr unsere Reise eine unerwartete und äußerst unangenehme Wendung, als sich der Pfad vor uns in den schwarzen Fluten eines erst vor kurzer Zeit entstandenen Tümpels verlor. Ich erkundete die Gegend, aber der einzige Weg nach Hornhus schien durch dieses tintenschwarze Wasser zu führen.
„ Seid vorsichtig, Herr. Ich kann nicht erkennen, wie tief das Wasser ist und was sich vielleicht darin verbirgt.“
„ Ich wate hinein so weit es geht. Vielleicht wird es ja gar nicht so tief. Und wenn doch: ich kann schwimmen.“, sagte Erich und zog seine ohnehin schon bis zu den Knien völlig verdreckten und zerrissenen Hosen aus. Dann stakste er in den Tümpel hinein. „Dumm dass du keinen Körper hast, sonst würde ich dich jetzt vorausschicken. Ich hoffe, da leben keine Fische drin, die mich beißen.“
„ Ich kann keine erkennen. In diesem Tümpel leben keine Tiere.“
Seine nackten Füße verursachten schmatzende Geräusche, als er durch den torfigen Randbereich des Wassers stakte, dann stiegen nur noch leise blubbernd kleine Bläschen vom Grund auf, als er seinen Weg fortsetzte. Er rümpfte die Nase, denn was auch immer sich da einen Weg nach oben bahnte, es musste entsetzlich stinken.
Ich suchte die Umgebung weiter unablässig nach Gefahren ab. Nicht dass ich das nicht schon die ganze Zeit getan hätte, aber dieses Wasserloch im Nebel schrie geradezu nach einer Falle. Mein Instinkt sagte mir, dass sich ein halbwegs intelligentes Raubtier genau diesen Platz aussuchen würde, um sich auf die Lauer zu legen.
In einer gewissen Weise hatte ich damit Recht – und lag trotzdem weit daneben.
Denn als Erich gepackt und unter Wasser gezogen wurde war es kein Tier, sondern eine Pflanze, die ihn verschlingen wollte. Wie ein Fangnetz schossen plötzlich Tentakel auf ihn zu, wickelten sich um seine Beine und seinen Oberkörper und zogen ihn dann nach unten.
Ich handelte sofort. Wie schon zwei Mal zuvor fuhr ich in seinen Körper und verlieh ihm damit übermenschliche Kraft und Schnelligkeit. Mit seinen Händen packte ich die glitschigen Ranken, riss daran, so fest ich konnte und kam mit dem Kopf zurück an die Wasseroberfläche, die inzwischen von der ganzen Bewegung schäumte wie frisch eingegossenes Bier. Es stank erbärmlich nach faulen Eiern und Schlimmerem. Ich überließ es Erichs Reflexen das Wasser, das er geschluckt hatte, hochzuwürgen und nach Luft zu schnappen.
Der Kampf dauerte zum Glück nur kurz. Im Gegensatz zu einem Tier verfügte die Pflanze über keinen Verstand und keine Muskeln. Sie war darauf angewiesen ihr Wachstum über Tage und Wochen auf den einen Moment hin auszulegen, in dem ein Lebewesen ihren Weg kreuzte und sie explosionsartig die Flüssigkeit in ihrem Inneren umverteilen konnte und dadurch ihre Stängel zuschnappen ließ. Nach dieser einen alles entscheidenden Bewegung war ihre Kraft verbraucht und sie war hilflos. Beute, die bis dahin nicht ertrunken war, entkam ihr.
Das alles wusste Erich natürlich nicht. Ich wurde aus seinem Körper geschleudert, sobald die unmittelbare Gefahr vorüber war und sah zu, wie er panisch um sich schlug und strampelnd versuchte ans Ufer zu gelangen. Dabei verhedderte er sich erneut in den Schlingen, tauchte unter und kam hustend wieder hoch.
„
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