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Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)

Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)

Titel: Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Keller
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desolat wie der der Brücke, aber man konnte noch gut erkennen, wo sie einst durch den Wald geführt hatte, der sich auch hier, so weit wir sehen konnten, in alle Richtungen erstreckte. In regelmäßigen Abständen markierten Meilensteine den Weg und an manchen Stellen war der Wald gnädig genug gewesen, ein ganzes Stück des Straßenbelags unbehelligt zu lassen. Uns war das einerlei. Wir kamen auf den Resten der Steinplatten ebenso gut voran wie auf den kräftigen Wurzeln, die dazwischen das Land zurückeroberen. Nuur brauchte die Meilensteine bloß, um sich zu orientieren und noch bevor es dunkel wurde, erreichten wir eine Kreuzung, und schlugen einen neuen Kurs direkt nach Süden ein.
    Obwohl sich an der Bauweise der Straße und am Wuchs des Waldes nichts verändert hatte, kam mir dieser Streckenabschnitt bedrohlicher und abweisender vor als der erste. Vielleicht lag es daran, dass das Land hügeliger wurde und wir selten weiter als eine Handvoll Schritte sehen konnten, wo die Straße weiter verlief. Vielleicht bildete ich mir die Präsenz, die ich zu spüren glaubte nicht nur ein. Etwas lebte in diesen Wäldern. Etwas, das nicht gesehen werden wollte.
    So öffnete sich der Wald bei Einbruch der Dämmerung ohne jegliche Vorwarnung auf eine ebene, mit Schnee bedeckte Fläche hinaus, aus der ein kahler Felszacken in den Himmel ragte wie eine abgebrochene Speerspitze. Um ihn herum überall auf der Fläche verteilt standen mannshohe Steine, manche von ihnen einzeln, manche in Gruppen, wobei mehrere von ihnen einen gemeinsamen Deckstein trugen. Andere waren mit Erde oder kleineren Steinen überhäuft, so dass man nur an einigen Stellen die großen Steine durch den Schnee ragen sah. Der zentrale Felszacken war groß genug, um einen massigen Turm zu tragen, der aus unbehauenen Steinen aufgeschichtet war. Je tiefer die Sonne sank, desto deutlicher konnte ich sehen, dass die Spitze des Turms sanft gelblich-grün glühte.
    Nuur hielt sich nicht mit dieser geisterhaften Erscheinung auf, sondern führte uns ohne inne zu halten zwischen den Standsteinen hindurch auf einen Pfad, der sich am gegenüberliegenden Ende der Lichtung einen steilen Hügel hinauf wand. Im letzten Licht konnte ich erkennen, dass auf dem Gipfel des Hügels ein weiteres Gebäude stand und ich war mir sicher, dass es sich dabei nur um Burg Wacht handeln konnte. Bevor Drigg davon gesprochen hatte, hatte ich noch nie von diesem Ort gehört, aber es gab keinen passenderen Namen für dieses Gebäude, dass sich wie eine gezackte Wand gegen den Wind stemmte, der beständig aus dem Tal vor uns herauf wehte. Ein nicht lange zurückliegender Sturm hatte eine ganze Reihe Bäume abgeknickt oder gleich mitsamt ihren Wurzelstöcken umgeworfen und da unser Pfad uns bis hinauf zum Rücken der Hügelkette führte, um dann eine Biegung nach links zur Burg hin zu machen, konnten wir gut sehen, was sich weiter im Südosten erstreckte. Ich kannte das Bild. Ich wusste, dass Drachall inmitten eines Rings von Felsen lag, die von einem kreisrunden Tal umgeben waren, das seinerseits in einen Ring aus Hügeln eingebettet war. Die Draach hatte im Lauf der Jahrhunderte einen Weg durch die Hügel gefunden und einen Teil des Tals geflutet, um sich dann doch dafür zu entscheiden, um das Tal und die Hügel von Drachall herumzufließen. Ein gefrorener See über den der Wind ohne Unterlass Schneekristalle trieb, lag unterhalb der Burg Wacht. Der Wind trug den Schnee weiter bis hinauf zu uns und verwischte alle Spuren, die Drigg und die anderen vielleicht hinterlassen haben mochten. Er fuhr auch in die Kanten der Burg und spielte auf ihnen ein schauerliches Lied, das an- und abschwoll aber niemals nachließ und schon bald in unseren Ziegenohren zu schmerzen begann. Ich versuchte sie davon abzuhalten zu zucken, aber es gelang mir nicht.
    Bald hatten wir die Burg erreicht und fanden vor dem weit offen stehenden und an Ort und Stelle festgefrorenem Tor einen wie mit einem Zirkel gezogenen Fleck aus Eis. Gefrorene Fußspuren führten in Richtung Burg und wir folgten ihnen.
    Erst jetzt begann ich die Kälte zu spüren. Sie kroch durch meine Beine den Körper hoch und bildete einen dicken Klumpen in meinem Inneren. Der Innenhof der Burg war dunkel, von hohen Mauern umgeben und vergleichsweise still. Der Wind trieb über ihn hinweg und entließ nur selten eine Schneeflocke oder einen Eiskristall aus seiner Umklammerung. Dennoch hatte sich der Hof im Verlauf des Winters bis zum zweiten Stock

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