Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)
der Ziegen löste sich aus der Herde und kam auf uns zu.
„Määäh!“
„ Hund? Hund! Das ist es! Die Ziegen! Schnell! “
Nuur und ich redeten wild durcheinander, während wir auf die Tiere zuschossen und Besitz von ihnen ergriffen.
Als ich die Augen öffnete, war die Welt gewachsen und hatte dafür ihre Farbe verloren. Außerdem erschien sie mir flacher als zuvor, dafür breiter, irgendwie verändert. Ich wusste kaum, wie ich die neuen Sinneseindrücke verarbeiten sollte, geschweige denn, dass ich die passenden Worte dafür fand. Es hatte Ähnlichkeit mit Erichs Geist im Körper einer Knochenfrucht zu stecken, fühlte sich aber völlig anders an.
Ich war eine Ziege …
Hund war eine Ziege.
Auch Nuur war jetzt eine Ziege.
„Määäh!“
Als ich völlig verblüfft von dieser Tatsache herausfinden wollte, wie das möglich sein konnte, fiel mir wieder ein, dass sich die Hürnin darüber gewundert hatten, dass sie sowohl beim Scharif als auch hier Ziegen gefunden hatten. Diese Tiere mussten eine spezielle Eigenschaft haben, die sie in gleichem Maße interessant für magisch begabte Wesen wie für die Kontrolle durch uns machte.
Ich versuchte den anderen beiden meine Vermutung mitzuteilen, aber mein Maul brachte nichts als ein weiteres raues Meckern zu Stande. Als ich es wieder schloss, zwickte ich versehentlich meine schlaffe Zunge ein und zog sie erschreckt wieder zurück.
Bevor ich mich von dem Schreck erholt hatte, wurde ich angerempelt und als ich den Kopf wandte, sah ich, dass Hund mit einem Vorderhuf auf die Tür deutete, die den Stall verschlossen hielt. Nuur, der schneller von Begriff war als ich, stellte sich nah an die Tür, Hund sprang auf seinen Rücken und schob den Riegel beiseite. Die Tür sprang auf und wir rannten auf wackeligen Beinen nach draußen. Hund war der einzige, der Erfahrung im Umgang mit einem Ziegenkörper zu haben schien, Nuur und ich dagegen mussten uns erst langsam daran gewöhnen. Es dauerte eine Weile bis wir herausgefunden hatten, wie wir unsere vier Beinchen koordinieren mussten, um einen kontrollierten Trab hinzubekommen ohne ständig umzufallen.
In den vergangenen Tagen war viel frischer Schnee gefallen und wir hatten Mühe uns einen Weg aus den Ruinen heraus und nach Süden in den Wald zu bahnen. Ich fürchtete schon, dass eine der magischen Abwehrvorrichtungen des Magierlehrlings uns aufhalten würde, aber nichts geschah. Unbehelligt verließen wir die Ruine und schoben uns durch den schulterhohen Schnee, bis uns die Kraft auszugehen begann.
Ich hätte gern mit den anderen gesprochen, aber den Ziegenkörper erneut zu verlassen war viel zu riskant, bloßes Meckern brachte uns nicht weiter und mit den Hufen in den Schnee zu schreiben war zu umständlich. Außerdem war alles, was nicht direkt dem Ziel unsere Herren wiederzufinden diente, nun nebensächlich. Es war nicht wichtig, dass ich mich auf seltsame Weise im Körper dieses Tiers wohl fühlte und sogar kurz darüber nachdachte wie es wohl wäre ein ganzes Leben lang eine Ziege zu sein, die sich um nichts anderes kümmern musste als darum genug zu fressen und sich nicht selbst fressen zu lassen. Es war jetzt nur wichtig, so schnell wie möglich nach Drachall zu kommen, beziehungsweise zur Burg Wacht. Wenn wir sie überhaupt finden konnten.
Obwohl die Schneemassen uns behinderten, half der Winter uns doch auf vielfältige andere Weise: Dank unseres weißen Fells waren wir gut getarnt und mussten uns auch vor den meisten Raubtieren nicht fürchten, die ja nun ihren Winterschlaf hielten. Auch gegen die verbliebenen Räuber hatten wir als drei kräftige und vor allem intelligente Tiere gute Chancen uns zu wehren. Sollte eine Wildkatze oder ein Fuchs unvorsichtigerweise unseren Weg kreuzen würden sie ihr blaues Wunder erleben. Das einzige, was uns wirklich gefährlich werden konnte war ein Wolfsrudel, mit allem anderen würden wir schon fertig werden. Hoffte ich zumindest.
Außerdem kamen wir als Ziegen viel schneller voran, als mit den Hürnin. Dichtes Unterholz bereitete uns ebenso wenig Probleme wie steile Abhänge und zu Fressen gab es trotz Schnee auch immer etwas. Bis zum Einbruch der Dunkelheit legten wir eine Strecke zurück, die abgesehen von den Etappen auf den Kamelen weiter war, als alles was wir bisher zu Stande gebracht hatten.
Wir mussten uns nicht absprechen, um Nuur die Führung zu überlassen. Er kannte durch Sarn die Karten dieser Gegend und konnte sich an jedes Detail erinnern. Er musste also
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