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Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)

Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)

Titel: Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Keller
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auch wissen, wo Burg Wacht lag.
    Am zweiten Tag unserer Reise entdeckte er im Osten eine Formation von verwitterten Vulkanschloten, die wie gedrungene Kakteen in den Himmel ragten und wusste anscheinend genau, wo wir uns befanden. Zum Glück handelte es sich um einen größtenteils menschenleeren Landstrich. Für Bauern mit Bögen oder Fallensteller wären wir leichte Beute gewesen, aber diese Gegend schien niemand seine Heimat zu nennen. Wir hatten von einer Hügelkette aus, die aus zerfurchten schwarzer Basaltblöcken bestand, einen guten Überblick über einen großen Teil des Flusstals. Es zog sich von hier aus nach Osten, um dort in der Ferne auf das große Meer zu treffen. Am Horizont stiegen vereinzelte Rauchfahnen auf und in unregelmäßigen Abständen hatte man vom Fluss aus Lichtungen und Schneisen in den Wald geschlagen, um Holz zu gewinnen oder abgelegene Äcker anzulegen. Aber in unserer Nähe reichte der Auwald ohne Unterbrechung bis an den Fluss heran. Weiter im Süden ragte eine Bergkette auf, die sich von Nordwesten nach Südosten erstreckte. Ich wusste nicht, wie weit sie reichte, aber ich wusste, dass sich irgendwo dort Drachall befand. Unser Ziel war in greifbarer Nähe. Aber um dort hin zu gelangen mussten wir einen Weg finden, den Fluss, den die Hürnin so weit ich weiß früher die Draach genannt hatten, sicher zu überqueren.
    Nuur führte uns flussaufwärts an den verwitterten Resten eines Brückenpfeilers vorbei bis zu einem See, der sich hinter einer Klamm gebildet hatte, welche die Draach im Laufe der Zeit ausgehöhlt hatte. Vor langer Zeit musste das Wasser hier als breiter Wasserfall mehrere Mannslängen nach unten gestürzt sein, doch im Lauf der Zeit hatte es sich tiefer und tiefer in den Fels gegraben und das Gefälle so schließlich eingeebnet. In der Klamm war der Fluss eingezwängt und es würde ein Leichtes für uns sein, in die Klamm einzusteigen und dort eine geeignete Stelle zu finden, an der wir die Draach überqueren konnten. Dafür mussten wir zwar einen Umweg in Kauf nehmen, aber ich wollte es nicht drauf ankommen lassen, ob Ziegen in eiskaltem Wasser gute Schwimmer waren.
    Über kantige Felsbrocken am Rand des Sees arbeiteten wir uns an den Eingang zur Klamm vor. Selbst für Ziegenhufe war es nicht immer leicht auf den vereisten Steinen Halt zu finden und mehr als nur einmal rutschte ich aus und konnte mich nur mit Glück wieder fangen.
    Vor uns schoss das Wasser weiß tosend aus dem beinahe senkrecht aufragenden Fels, der feucht glänzte als hätte man ihn frisch poliert. Aus Spalten und von Vorsprüngen hingen lange Eiszapfen und so weit der Wind die Gischt tragen konnte, bedeckte dicker Reif die Felsen. Es sah aus, als wären die Wände mit seltsamen, weißen Farnwedeln bedeckt.
    Über einen Nebenarm des Flusses, der weniger Wasser führte, fanden wir einen Einstieg in die Klamm und arbeiteten uns vorsichtig weiter nach oben vor, bis wir uns nach etwa einer Viertelstunde direkt über der zwischen die Felsen gepressten Draach wiederfanden, die mit der Gewalt einer Lawine vorbeirauschte um sich in den See zu ergießen. Gebannt standen wir eine Weile da und starrten auf die Gischt, die wie das dichte Winterfell eines Tieres auf dem Fluss lag, bis Nuur uns anstieß. Rechts von uns führte ein schmaler Riss nach oben zu einen Felsbrocken, der sich ein ganzes Stück über dem Fluss zwischen den beiden Felswänden verkeilt hatte. Vorsichtig setzte Nuur einen Huf in den Riss und lehnte seinen Ziegenkörper gegen die Felswand. Er schaffte es das Gleichgewicht zu halten und schob sich behutsam weiter nach oben. Hund und ich folgten ihm. In einem Menschenkörper wäre dieser Aufstieg niemals zu schaffen gewesen, denn der Spalt war nicht breit genug, um Zehen oder Fingern genügend Halt zu bieten, aber für die Hufe von Ziegen war er gerade noch ausreichend. So gelangten wir schließlich bei dem Felsbrocken an und sprangen mit einem beherzten Satz zu ihm hinüber. Erst als wir alle vier Hufe wieder auf halbwegs ebenem Boden hatten und wieder zu Atem gekommen waren, wurde uns bewusst, in was für einem Hexenkessel wir steckten. Die enge Klamm schien das Fauchen und Donnern der Draach zu bündeln und die aufgewirbelte Gischt blies uns wie kalter Odem entgegen und durchtränkte unser Fell bis auf die Haut. Kein Wunder, dass die Hürnin diesen Fluss Draach getauft hatten. Wenn man an einem Ort wie diesem stand, kam es einem wirklich so vor, als hätte man es mit einem wütenden

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