Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)
musste, nun aber von Geröll und Rissen fast unkenntlich gemacht war. Die Felsen um uns herum sahen aus, als hätte ein verrückter Bauherr wahllos Gestein aus allen Ecken der Welt zusammengetragen und versucht sie mit Lava zu einem großen Ganzen zusammenzukleben. In der Dunkelheit war das nicht einfach zu erkennen, aber je höher wir durch die Geröllschichten stiegen, desto deutlicher formte sich in meinem Kopf das Bild von einer gewaltigen Faust, die mit Feuer vom Himmel gefallen war und das Tal um Drachall herum aufgeworfen hatte, lange bevor die Stadt erbaut worden war. Wie zerbrochenes Steingut ragten Felsplatten säuberlich geordnet in Richtung Westen oder steil nach oben und es konnte nicht mehr weit bis zum Tor nach Drachall sein, als Sarns Fackel endgültig erlosch und wir Drigg, Erich und den Halken entdeckten. Es gab keinen Tunnel der nach Drachall führte, fiel mir plötzlich auf. Das war nur eine der vielen Legenden über diese Stadt.
Wie ein Kartenspiel, das man achtlos in eine Schüssel geworfen hatte, erstreckte sich vor uns ein abschüssiges Feld aus Steinplatten, das unterhalb der letzten Barriere lag. Wie Drachenzähne stachen zwischen den Platten dicht an dicht spitze Kegel in den Himmel, die uns um ein vielfaches überragten. Seltsame Kristalle wucherten wie Blüten aus dem matten Gestein heraus und schimmerten kalt im Mondlicht.
Drachall trug nicht umsonst den Namen 'Krone der Hürnin'. Im Ring aus Hügeln, der diesen Ort umgab, erhob sich der zweite Ring und geschützt hinter diesem musste sich die Stadt befinden. Aber wo? Von einer Siedlung, die einmal die Hauptstadt des Hürninreiches gewesen war sollte man annehmen, dass sie eine gewisse Ausdehnung und Größe hatte. Aber hinter den Felskegeln und Kristallblöcken ragten keine Türme auf. Keine Dächer waren zu sehen und alles in allem war das Rund der Felsen gerade einmal groß genug um ein paar Dutzend Häusern Platz zu gewähren. Und hier sollte Drachall liegen? Das konnte nicht sein.
Zwischen zwei der Steinkegel befand sich eine schmale Lücke, die vollständig von Kristallen überwuchert war, so dass es auch hier kein Durchkommen gab. Aber dorthin führte die Straße und vor uns, in einem unruhigen bläulichen Licht stand Drigg und wartete auf den Sonnenaufgang. Erich und der Halken lagen nicht weit von ihm entfernt auf einem Vorsprung und schienen zu schlafen.
Es kostete mich einiges an Überwindung nicht sofort zu meinem Herrn zu eilen, aber ich erinnerte mich an die Reaktion der Ziege als Nuur ihren Körper verlassen hatte und konnte nicht riskieren, dass wir durch ihre Panik verraten wurden, wenn ich sie verlies. Das schien auch Hund zu begreifen. Sarn hatte sich inzwischen hinter eine der Platten geduckt und sondierte mit zusammengekniffenen Augen die Lage. Es war unmöglich auf direktem Weg an Drigg heranzukommen, ohne gesehen zu werden und auch von der Seite sah es nicht viel besser aus. Vielleicht konnte sich Sarn ein gutes Stück an den Magier heranarbeiten und in einem geeigneten Moment das letzte Stück des Weges überwinden, während wir uns erneut mit unseren Herren vereinten, aber wie er es auch anstellen wollte, es war äußerst riskant. Abseits des Weges lag das Gestein nur lose aufeinander und eine kleine Unachtsamkeit genügte, um es ins Rutschen zu bringen. Trotzdem wollte Sarn es versuchen. Er signalisierte uns, dass wir bleiben sollten, wo wir waren und machte sich dann auf den Weg. Nach wenigen Augenblicken hatte ihn die Dunkelheit verschluckt.
Gespannt beobachteten wir was weiter geschah. Ab und zu bewegten sich Erich oder der Halken, aber Drigg stand nur unbeweglich vor dem von Kristallen verschlossenen Durchgang. Obwohl er sich nicht bewegte und auch das Feuer um ihn herum ruhig vor sich hin brannte, strahlte alles an ihm eine Ungeduld aus, die von Minute zu Minute zunahm. Erst als im Osten die ersten fahlen Vorboten des neuen Tages zu erahnen waren, wurde er ruhiger. Aber er ließ die Kristalle nicht aus den Augen. Ich hoffte, dass er dadurch stark genug abgelenkt war, damit sich Sarn an ihn heranschleichen konnte.
Und dann brach die Sonne durch eine dünne Lücke, die zwischen dem Horizont und den Wolken blieb. Es schien als würden die Kristalle Feuer fangen. Dort, wo zuvor nur milchige Flächen zu sehen gewesen waren, spielten nun Blitze in allen Farben wie auf den Flügeln einer Libelle und erstrahlten dann in einem betäubenden Blau. Ich wusste sofort, dass es sich dabei nicht um normale Farben
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