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Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)

Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)

Titel: Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Keller
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Erinnerungen. Der Mann ist mehr Mythos als reale Person.“
    Erich nickte und sie setzten ihren Rundgang durch das Geburtshaus der Menschen fort.
    Das Haus der Menschen verkörperte die Stadt. Hier wurden Entscheidungen getroffen und Nachrichten verbreitet. Hier residierte der Rat. Und hier war es auch, dass zum ersten Mal die Nachricht die Runde gemacht hatte, ein Kind, das keine Eltern hatte, sei zu einem Hürnin erwacht und von Süden her kommend mit seinem Horndämonen in der Stadt eingetroffen.
    So etwas hatte es lange nicht mehr gegeben und entsprechend ratlos war man, wie man mit der Situation umzugehen hatte.
    Wie jedes wichtige Ereignis in der Geschichte der Hürnin wurde auch das niedergeschrieben. Sauber aufgereiht standen die eng beschriebenen Folianten mit den Erinnerungen der Stadt in den Höhlen unterhalb des Geburtshauses aneinander und bewahrten so die Geschichte des neuen Hornhus. Das alte Hornhus war mit allen seinen Erinnerungen im Krieg untergegangen. Aber sein Geist lebte in den Archiven fort.
    Erich verbrachte viel Zeit zusammen mit Sarn in den Archiven, nachdem er das Geburtshaus endlich verlassen durfte. Der Alte saß oft stundenlang schweigend über den brüchigen Seiten um zu lesen und Erich genoss die trockene Stille zwischen den Folianten und Schriftrollen.
    Dieser Ort gehörte so sehr zu seinem Vormund wie eine Esse zu einem Schmied oder ein Teigtrog zu einem Bäcker und Erich stellte schnell fest, dass auch er Bücher mochte. Er ging in ihnen auf Reisen, denn noch immer konnte er sich nicht frei in der Stadt bewegen. Er stand zwar nicht mehr unter Bewachung durch Chulak und seine Männer, aber Sarn hatte ihm mehrmals eingeschärft, dass er außerhalb der Archive, der Wohnung seines Lehrherrn und dem Haus der Menschen nichts zu suchen hatte. Erst musste er lernen, wie man sich als Hürnin zu benehmen hatte. Also begann Erich die Stadt hier in den Archiven auf kleinstem Raum kennen zu lernen. Er lernte sie so kennen, wie sie niedergeschrieben worden war und entdeckte dadurch manche versteckte Gasse, die er sonst nie kennen gelernt hatte. Und er fand heraus, wie man die Geschichte der Stadt niedergeschrieben. Auf die gleiche Art, wie die Hürnin alles in Angriff genommen hatten: Durch Kampf und Eroberung.
    In seinem ganzen bisherigen Leben hatte er nur ein einziges Buch zu Gesicht bekommen, ein abgegriffenes Exemplar einer religiösen Abhandlung, die im Dorf die Runde gemacht hatte. Mit ihr hatte Erich nicht viel anfangen können. Aber jetzt standen ihm nicht nur trockene Bestandslisten und Geburtenregister zur Verfügung, sondern auch Gedichte, Erzählungen und Texte aller Art, die sich in den Regalen verloren hatten. Er saugte alles Wissen, das er finden konnte, in sich auf, aber es gab viel, das er nicht verstand.
    „Warum wird das alles hier aufgeschrieben?“, fragte er Otto, den Archivar. „Wer kommt denn her, um etwas über die Beratungen lange verstorbener Ratsmitglieder zu lesen? Sind Sarn und ich die einzigen?“
    Otto hob verwundert die Augenbrauen und lächelte auf seine zugleich schüchterne und hintergründige Weise.
    „Viele tun das. Sie wollen wissen, was ihre Vorfahren gesagt und bestimmt haben. Sie tun es aus dem gleichen Grund wie du: Nur wenn man weiß, woher man kommt, kann man sagen, wo man steht und wohin man gehen will.“ Otto lachte still in sich hinein und sprach wispernd hinter vorgehaltener Hand weiter, obwohl sonst niemand da war, der ihn hätte hören können. „Außerdem stehen viele Dinge in den Büchern, die bindend sind. Alte Gesetze und Abmachungen. Dinge mit Macht.“
    „ Aber all die Bücher hier können mir nicht verraten, woher ich komme!“, beschwerte sich Erich. „Und da ich keine ererbten Rechte habe, bleibt nicht viel, worauf ich mich berufen könnte.“
    Otto hob überrascht die Augenbrauen und sah Erich dann mitleidig an. „Das ist allerdings wahr. Du lernst schnell. Aber es gibt immer Geheimnisse, die man nie ergründen können wird. Wahrscheinlich waren eine Eltern unter denen, die wir vor etwas über einem Dutzend Jahren verloren haben. Es steht alles in den Büchern. Du musst nur in den richtigen nachschauen.“
    Das stimmte nicht ganz. Als Erich in den Büchern nachschlug, die Otto in einer eigenen Kiste aufbewahrte, fand er nur den Ratsbeschluss vermerkt eine Gruppe von Freiwilligen nach Süden zu schicken, um die Grenzen des einstigen Hürninreichs auszukundschaften und sich besonders an einem Ort umzusehen, den das Protokoll

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