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Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)

Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)

Titel: Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Keller
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recht was er sagen sollte. Sarn wartete einige Augenblicke und sagte dann:
    „Das ist einer der Gründe, warum ich dich so oft in die Archive mitnehme. Otto kann jede Hilfe gebrauchen. Und auch für das was ich tue musst du lernen, dich in den Archiven zurechtzufinden. Geh nun schlafen. Morgen wirst Du Otto dabei helfen neues Papier herzustellen.“
    „ Sarn?“
    Der Priester wandte Erich sein bleiches Gesicht noch einmal zu. Im flackernden Licht der Kerze schienen sich die Narben träge zu bewegen. Erich konnte seinen Blick nicht davon abwenden.
    „Was ist?“
    „ Ich habe mich noch nicht bedankt.“, begann Erich zögernd. „Ich meine dafür, dass ihr mich aufgenommen habt.“
    Sarn nickte um den Dank anzunehmen. „Wie ich schon gesagt habe: Wenn ich es nicht getan hätte, dann Otto, Beatrix oder einer der anderen Unsichtbaren.“
    „Der Unsichtbaren?“, fragte Erich verdutzt.
    „ Du wirst noch früh genug herausbekommen, was das bedeutet. Schlaf jetzt.“
    Damit wandte er sich ab und ging mit der Kerze hinaus. In Erichs Kammer wurde es dunkel.
    Wie andere das Handwerk ihrer Familie erlernten, lernte Erich das Handwerk von Sarn. Er war kein Priester, so wie ich zunächst angenommen hatte, auch wenn man das was er tat als ehesten mit Predigen umschreiben konnte. Und damit er predigen konnte musste er sich vor allem so viel Wissen um die alte Lebensweise der Hürnin wie möglich aneignen. Erich merkte schnell, dass vieles von dem, was früher für sein Volk wichtig gewesen war mit der Zeit zu bloßen Ritualen verblichen war. Nur die Aufnahmezeremonie und das Blutritual hatten noch annähernd die Bedeutung wie zu ihren besten Tagen, denn andere Bräuche waren vollends in Vergessenheit geraten. Die Übergabe der Waffen etwa, die am Tag nach der Aufnahme stattfinden sollte. Oder die Ablösung der Wachen, früher begleitet von allerhand zeremoniellen Handlungen, heute nur noch ein einfacher Austausch von Männern und Frauen an den Aussichtspunkten oberhalb der Stadt.
    Diese alten Rituale entsprangen aus einem kriegerischen Volk, das seinen Stolz und sein Selbstbewusstsein aus den Siegen auf dem Schlachtfeld gezogen hatte. Es gab ein Fest am Beginn der Ausbildung mit den Waffen, ein Fest an deren Ende und genaue Vorschriften, wer wann wo welche Waffen öffentlich zur Schau tragen durfte. Erich musste herzhaft über eine alte Ratsanordnung lachen, die es Kriegerinnen untersagte leere, an der Öffnung mit Fell besetzte Schwertscheiden zu tragen. Erich verstand erst nicht, warum das jemand überhaupt tun sollte, bis er weiterlas und auf eine noch ältere Anmerkung stieß, dass es männliche Kämpfer zu unterlassen hätten zwei Quasten oder ein Paar runder Schmucksteine am Griff ihrer Schwerter zu befestigen und deren Griffe rot zu färben.
    Es war ein Erlass aus den Jahren vor der Schlacht auf dem Sommerfeld, der der Zerstörung irgendwie entgangen war und Erich hatte seine liebe Mühe, die altertümliche Sprache zu entziffern.
    Noch fremder waren ihm die Legenden der Hürnin, die weiter zurückreichten als alles andere in den Archiven, da sie aus den Erinnerungen der Überlebenden wiederhergestellt worden waren. Hier sah man das Bild, das die Hürnin durch ihre Helden und Schurken von sich selbst gemalt hatten. Bäume spielten darin eine wichtige Rolle, allen voran der mächtige Weltwald, in dem alles reifte, was war und dessen Wurzeln die Welt zusammenhielt. Die Hürnin, die sich damals noch nach dem Baum, aus dessen Samen sie der Legende nach entstanden waren, die Weidir nannten, hatten sich damals in der Rolle von stets gefährdeten Reisenden gesehen, die kräftemäßig meist unterlegen nur auf ihre Intuition und ihren Verstand zählen konnten, um in einer ihnen feindlich gesinnten Welt zu überleben.
    Erich begann sich diese Legenden anzueignen wie ihm Sarn aufgetragen hatte. Nicht etwa nur auswendig zu lernen, sondern sie sich im wahrsten Sinne des Wortes zu Eigen zu machen. Aber er schien kein rechtes Talent dafür zu haben. Zwar konnte er Sarn schon bald bei seinen Erzählungen unterstützen, aber er verlieh ihnen eine eigene Note, die Sarn nicht schätzte. Erich mochte die Geschichten, aber er maß ihrer wörtlichen Wiedergabe keine große Bedeutung zu. Er spielte mit ihnen, verdrehte sie und fügte sie manchmal zu neuen Geschichten zusammen, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatten, zumindest der Wirklichkeit so wie Sarn sie sah. Die meisten Hürnin, die ihnen zuhörten, bemerkten Erichs kleine

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