Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)
kreisen, um besser sehen zu können, bis ihm davon schwindelig wurde und brütete still vor sich hin. Die Kälte und seine Müdigkeit setzten ihm zu und diesmal wollte der Schwindel nicht so schnell aufhören.
Er schloss für einen Moment die Augen, um wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen, aber das leichte Schwanken hielt an.
„Spürst Du das auch?“, wisperte er, als er sich völlig sicher sein konnte, dass er sich das Ganze nicht nur einbildete.
„ Das Moor schwimmt auf.“, antwortete der Halken.
„ Was?“
„ Torf schwimmt. Bäume wachsen auf dem Torf. Die Bäume schwimmen.“
Erich verstand. Er verstand jetzt auch, warum die Bäume am Rand der Insel alle nach innen wuchsen: Der steigende Wasserspiegel drückte die Ränder der Insel, die nur aus leichtem Torf bestand, hoch und wölbte sie nach innen. Und damit auch die Bäume, die darauf standen. Das Bild einer riesigen fleischfressenden Pflanze, wie er sie einmal auf einem Felsen außerhalb seines Dorfes gesehen hatte, die sich um ihr zappelndes Opfer schloss, schoss ihm durch den Kopf, aber er verwarf es sofort wieder. Die Insel war kein lebender Organismus und von der Hebung waren zu wenige Bäume betroffen, als dass sie sich Sorgen darüber machen mussten, unter ihnen begraben zu werden. Trotzdem war ihm nicht ganz wohl bei der Vorstellung.
„Ist das nicht gefährlich?“
„ Gefährlich. Wie sehr weiß der Halken nicht. Ungefährlicher als Chulak.“
Den Rest ihrer Wache versuchte Erich zu erfahren, was zum Aufbau eines Lagers dazugehörte, aber die Erklärungen des Halken waren nicht sehr erhellend. Erich war nicht unglücklich darüber. Er war sowieso viel zu sehr darauf konzentriert die Umgebung nicht aus den Augen und Ohren zu lassen und den Bewegungen der Insel nachzuspüren. Unablässig fiel der Regen als feiner Niesel auf sie herab und Erich zuckte jedes Mal zusammen, wenn sich der Boden unter ihnen weiter hob und irgendwo am Rand der Insel ein Baum nach innen kippte und dabei andere Bäume streifte.
Trotz Kälte, Hunger und Anspannung spürte er nach einiger Zeit, wie sich eine bleierne Müdigkeit seiner bemächtigen wollte. Hinzu kam, dass er seinen Sinnen immer weniger vertrauen konnte. Er begann Bewegungen zu sehen und Geräusche zu hören, die mit Sicherheit nicht vorhanden waren. Seine Augen zitterten auf der Suche nach einem Anhaltspunkt hin und her und in seinen Ohren rauschte das Blut. Wenn ich seine Antwort darauf nicht schon gekannt hätte, hätte ich ihm angeboten für eine Weile in seinen Körper zu schlüpfen, um ihn zu entlasten. Aber davon hielt er nichts.
So war es eine Erlösung, als der Halken ihn schließlich zurück zum Lager schickte, um Sirr zu wecken, die die zweite Wache übernehmen sollte. Erich machte sich mit steifen Gliedern auf den Weg und lief erst einmal am Lager vorbei, bevor er es schließlich wiederfand. Die Glut des Feuers war kaum noch zu sehen und es dauerte eine Weile, bis Erich sich orientieren konnte und erkannte, wo die anderen lagen und wer davon Sirr sein musste.
Der Boden war zu feucht, um sich darauf niederzulassen, also hatten die Hürnin Stoffbahnen mit Seilen zwischen die Bäume gespannt und sich wie Insekten in ihren Kokon darin eingewickelt. Aber Erich sah nur zwei gefüllte Hängematten.
„ Sirr?“, flüsterte er zaghaft.
Er hörte ein leises Geräusch vom Feuer her und wandte sich um. Dort hockte plötzlich die Elfe und streckte ihre Hände mitten in die aufflackernde Glut. Vor Schreck übersah Erich dabei zuerst, dass sie völlig nackt war. Ihre schwarzen Haare fielen ihr über Brust und Rücken und bedeckten nur unvollständig die weit auseinanderstehenden Brustwarzen. Als sie sich aufrichtete, um Glut und Asche von ihren Fingern zu klopfen, sah Erich, dass sie am Körper vollkommen unbehaart war, wie die Mädchen, die im Sommer in seinem Dorf in Pfützen gespielt hatten. Sie war schlank aber nicht dürr. Die Lage ihrer Rippen- und Hüftknochen war zwar deutlich zu sehen, aber ihre Kanten wurden von einer geschmeidigen Muskelschicht bedeckt. Erich spürte Neugier und Überraschung aber kein körperliches Verlangen, als er sie so dastehen sah. Er konnte seinen Blick dennoch nicht von ihr abwenden, denn er hatte noch nie einen Körper gesehen, der so vollkommen makellos zu sein schien wie ihrer. Kein Leberfleck und keine Narbe störte den gleichmäßigen Schimmer, den ihrer Haut von der Glut zurückwarf.
Er starrte sie weiterhin wie versteinert an, während sie
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