Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
Ton fortfuhr: »Du kannst gerne versuchen wegzulaufen, Kleines, aber glaub mir, nicht einmal mit allem Kat der Welt in dir könntest du so schnell laufen wie ein liebeskranker Transsilvanier, der dich zurückhaben will.« Ergab Andrej einen Wink. »Komm mit!« Andrej war so verstört, dass er ganz automatisch gehorchte, als Abu Dun sich herumdrehte und losging, langsam und mit sonderbar steifen Schritten, wie ihm keineswegs entging.
»Wie hast du mich gerade genannt?«, erkundigte sich Andrej.
»Jeder bekommt den Namen, den er verdient«, antwortete Abu Dun. Jetzt, wo sie aus Muridas Hörweite waren, klang seine Stimme doch ein wenig gepresst, und auch sein Humpeln wurde stärker. »Sieh mich an, zum Beispiel. Ich war nicht immer unter dem Namen Abu Dun bekannt, und ich habe ihn mir auch nicht selbst ausgesucht. Vielmehr –« Andrej fiel ihm ins Wort. »Was genau wolltest du mir zeigen?«
Abu Dun hüllte sich in beleidigtes Schweigen, doch sie hatten ihr Ziel auch schon erreicht. Der Sand war zerwühlt, mit Waffen und zerfetzten Kleidern übersät und auch dem einen oder anderen reglosen Körper. Genau wie Abu Dun gesagt hatte, waren sie ausnahmslos in schwarze Mäntel gehüllt und trugen gleichfarbige Turbane oder andere Kopfbedeckungen, und etliche waren auch mit erbeuteten Musketen ausgerüstet. Dennoch sah er sofort, dass es sich nicht um Sharifs Janitscharen handelte. Er war lange genug Krieger, um zu wissen, dass ein schwarzer Mantel und eine erbeutete Waffe nicht ausreichten, um aus einem bunt zusammengewürfelten Haufen von Bauern und Möchtegernrevolutionären eine Armee zu machen.
»Ja, das sieht mir ganz nach Muridas Freunden aus«, sagte er. Aber wie kamen sie hierher?
»Das sieht mir ganz danach aus, als hätte deine kleine Freundin uns belogen«, antwortete Abu Dun. »Frag mich nicht, wie, aber irgendwie hat sie es geschafft, ihnen zu verraten, wohin sich Sharif zurückgezogen hat … nachdem du es ihr verraten hast.«
»Unsinn«, widersprach Andrej, wenn auch mehr aus einem Reflex als wirklicher Überzeugung heraus.
»Nur scheint es ihnen nicht besonders gut bekommen zu sein«, fuhr Abu Dun fort, als hätte er gar nichts gesagt.
»Weißt du, woran mich das hier erinnert? An unseren Freund Sharif.«
»Wieso?«
»Es passt zu seiner heimtückischen Art«, behauptete Abu Dun. »Hier gibt es keinen Hafen, und in weitem Umkreis auch nichts, wo sich auch nur eine Maus verstecken könnte.
Wenn Sharif und seine Scharfschützen ihnen hier aufgelauert haben, dann hatten sie keine Chance.«
»Aber dazu hätte er wissen müssen, dass sie kommen!«, widersprach Andrej.
»Das wussten sie«, antwortete Abu Dun. »Schließlich hat er uns ja extra losgeschickt, um es ihnen zu sagen … na ja, eigentlich nur dich, aber wir wissen ja beide, was passiert, wenn ich dich allein irgendwohin gehen lasse, nicht wahr?«
Rasch sah sich Andrej die schwarz gekleideten Leichname an. Alle drei waren erschossen worden, und jemand hatte offensichtlich ihre Kleidung durchsucht. Andrej hatte eine recht konkrete Vorstellung, wer es gewesen war und warum. »Wie viele sind es?«, fragte er. »Das ist schwer zu sagen«, antwortete Abu Dun. Er deutete auf eine Schleifspur, die nur ein kleines Stück neben ihnen im Sand begann und zum Wasser hinunterführte. »Aber eine ganze Menge, denke ich. Ein paar scheinen auch entkommen zu sein. Die Spuren führen zum Fluss hinunter, aber mehr weiß ich nicht.« Für die wenigen Momente, die er nur weg gewesen war, war das schon eine ganz erstaunliche Menge an Erkenntnissen, dachte Andrej. Und er hätte nicht sagen können, was von alledem ihn zorniger machte: Der Gedanke, von Sharif benutzt worden zu sein wie ein Bauer auf dem Schachbrett, oder die Erkenntnis, wie leicht Murida ihn hinters Licht hatte führen können. Wahrscheinlich beides.
»Geh und hol Murida«, bat er. »Und dann suchen wir Sharifs Spuren. Es gibt da die eine oder andere Frage, die ich ihm stellen möchte.«
»Dann solltet Ihr das tun, Andrej Delany«, sagte Sharif. Lautlos wie ein Gespenst trat er aus der Dunkelheit. »Ich werde mich redlich bemühen, sie zu beantworten.« Abu Dun sah nicht einmal sonderlich überrascht aus, sondern genehmigte sich nur eine weitere großzügige Portion Kat. Andrej brauchte dafür umso länger, um seine Verblüffung zu überwinden, dann aber war er mit einem einzigen großen Schritt bei Sharif und packte ihn so wütend, dass er ihn eine gute Handbreit in die Höhe hob, ohne es
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