Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
Sharif, der nicht davon abzubringen war, sich selbst zu kasteien.
»Ich kenne sie besser als jeder andere. Besser als ihr eigener Vater –«
»Was nun wirklich kein Kunststück ist.«
»– und wahrscheinlich sogar besser als sie sich selbst«, fuhr Sharif so unbeeindruckt fort, als hätte Andrej nichts gesagt. »Jedenfalls dachte ich das bis vor wenigen Stunden.«
»Vielleicht hatte sie einfach einen zu guten Lehrer«, sagte Andrej.
»Wohl eher einen ganz besonders schlechten«, sagte Sharif bitter. »Ich dachte, ich hätte sie den Unterschied zwischen richtig und falsch gelehrt. Aber das ist wohl nicht der Fall. Wie konnte sie auf die Lügen dieses Wahnsinnigen hereinfallen?«
Die Lügen dieses Wahnsinnigen? Andrej versuchte gar nicht, seine Überraschung zu verhehlen. »Der Machdi?
Täusche ich mich, oder ist es gerade einmal einen Tag her, dass Ihr noch ganz anders über diesen Mann und seine Ziele gesprochen habt, Hauptmann?«
»Ihr täuscht Euch nicht, Andrej Delany«, antwortete Sharif grimmig. »Aber die Dinge ändern sich nun einmal. Und es gehört zu meinen Aufgaben, angemessen darauf zu reagieren.« Er blickte zu dem Boot, in dem Murida verschwunden war. »Ab jetzt ist es etwas Persönliches.«
Kapitel 24
Sie brachen noch in derselben Stunde auf. Sharif hatte seine zusammengeschmolzene Streitmacht aufgeteilt: Der so katastrophal fehlgeschlagene Hinterhalt der Machdiji hatte Abu Dun nicht nur einen Zweijahresvorrat an Kat eingebracht, sondern Sharifs Männern auch gute anderthalb Dutzend Pferde, auf denen ihnen dieselbe Anzahl Männer am Ufer folgten, um die kleine Flotte vor einem neuen Hinterhalt zu schützen. Drei weitere Männer (aus Fernandes’ Mannschaft) hatte Sharif zurück nach Cairo geschickt, um dort Verstärkung anzufordern, ein glattes Todesurteil, sowohl nach Andrejs Dafürhalten als auch Fernandes’, denn der Spanier hatte lautstark gegen diese Entscheidung protestiert. Selbstverständlich hatte Sharif den Protest lediglich zur Kenntnis genommen, ohne eine Miene zu verziehen, und so war schließlich das kleinste Schiff ihrer requirierten Flotte aus der Formation ausgeschert und in die Flussmitte hinaus gesegelt, um sich von der Strömung erfassen zu lassen. Andrej war sehr sicher, dass sie die Männer nicht wiedersehen würden, so oder so.
Er war in die kleine Dau geklettert, in die sich auch Murida zurückgezogen hatte, um unter ihrer Zeltplane zu schmollen. Eigentlich hatte er vorgehabt, noch einmal in aller Ruhe mit dem Mädchen zu reden, ohne dass Sharif oder gar Abu Dun dabei waren. Die geplante Unterhaltung hatte sich jedoch auf ein paar erlesene Unfreundlichkeiten beschränkt, die Murida ihm an den Kopf geworfen hatte, sodass er sich schließlich allein im Bug des kleinen Schiffchens sitzend wiederfand, äußerlich ungerührt und die unverhohlen schadenfrohen Blicke der Bootsbesatzung ignorierend, unter dieser Maske aber beunruhigt und aufgewühlt wie schon lange nicht mehr. Er hatte das Gefühl, dass ihm alles unter den Händen zerbrach. Nichts hatte sich so entwickelt, wie er es vorausgesehen (oder gar geplant) hatte, und er hatte das unbehagliche Gefühl, dass es nur schlimmer werden konnte, je weiter sie nach Süden kamen.
Sie hatten mit einem ihrer ehernen Prinzipien gebrochen-vielleicht dem wichtigsten überhaupt –, und er hatte das Gefühl, dass sie für diesen Fehler noch teuer bezahlen würden. Wenn man so lange lebte wie Abu Dun und er, dann bekam man Gelegenheit, jeden Fehler zu begehen, den man sich nur vorstellen konnte (und auch den einen oder anderen, den er sich zuvor nicht hätte vorstellen können), eines aber hatten Abu Dun und er stets gemieden wie der Teufel das Weihwasser: Sie mischten sich nicht ein.
Trotzdem war es manchmal nicht ausgeblieben, denn das Schicksal nahm nicht immer Rücksicht auf die Bedürfnisse oder gar Wünsche der Menschen, und Andrej mutmaßte (zu Recht), dass die Geschichte ohne das Eingreifen von Männern wie Abu Dun und ihm bei der einen oder anderen Gelegenheit eine andere Wendung genommen hätte. Vielleicht würden zukünftige Historiker die Spuren identifizieren, die sie hinterlassen hatten, ohne wirklich zu wissen, was sie da sahen. Niemals jedoch hatten sie die Macht, die ihnen ein unberechenbares Schicksal geschenkt hatte, genutzt, um sich in die Geschicke der Völker einzumischen oder gar Politik zu machen. Zu oft waren sie Zeuge geworden, welch schreckliche Folgen eine solche Einmischung haben konnte. Manchmal
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