Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
er.
»Sie streiten schon den ganzen Tag«, bestätigte Murida, womit sie Andrej ganz und gar nichts Neues erzählte.
»Dieser spanische Pirat muss entweder ganz besonders mutig sein, oder er ist außergewöhnlich dumm … oder er weiß nicht, wer Sharif ist. Vielleicht solltest du besser mit mir kommen, bevor am Ende noch ein Unglück geschieht.«
Das klang nicht wirklich überzeugend, aber er stand trotzdem auf, soweit das in dem niedrigen Zelt möglich war, band sich seinen Waffengurt um und suchte nach seinem Mantel.
»Warte«, sagte Murida. »Nur einen Moment.«
Andrej ließ sich gehorsam wieder in die Hocke sinken und sah sie auffordernd an. Murida wich auch seinem Blick aus, ehe sie weitersprach. Andrej sah seine erste Einschätzung bestätigt: Sie war eine ganz miserable Schauspielerin. »Ich wäre auch so gekommen«, fuhr sie fort. »Ich … wollte mit dir sprechen. Allein.«
Andrej schluckte die spöttische Antwort hinunter, die ihm auf der Zunge lag, und sah sie nur weiter fragend an. »Ich habe alles gehört.«
»Aha«, sagte Andrej. Zwei oder drei weitere Atemzüge folgten, in denen Murida ihn nur weiteraus großen Augen ansah, dann fügte er hinzu: »Was?«
»Heute Morgen am Ufer«, antwortete Murida. »Ich war auf der Suche nach Sharif, aber er war schon weg, als ich angekommen bin, und dann habe ich dich und deinen Freund gesehen und mich im Gebüsch versteckt, und da habe ich alles gehört, was er gesagt hat und auch du.«
»Was hast du gehört?«, fragte Andrej. Es fiel ihm nicht leicht, Murida zu glauben. Nur sehr wenigen Sterblichen war es je gelungen, sich an Abu Dun und ihn anzuschleichen oder sie gar zu belauschen. Aber andererseits war Murida immer für eine Überraschung gut.
»Alles, was ihr gesprochen habt«, sagte das Mädchen. »Das mit dem Tod und … und seiner Angst, als etwas anderes aufzuwachen. Und noch mehr, das ich nicht verstanden habe.«
»Kein Wunder«, antwortete Andrej. »Abu Dun redet ständig Unsinn. Aber seit er Kat nimmt, wird es immer schlimmer. Ich verstehe ihn manchmal selbst nicht mehr.
»« Obwohl du ihn schon so lange kennst?«, fragte Murida. »Schon mehr als dreihundert Jahre?«
Sie hatte sie belauscht. Andrejs Vernunft riet ihm, mit einer Ausflucht zu antworten – oder am besten gar nicht –, aber aus irgendeinem Grund widerstrebte es ihm, das Mädchen anzulügen. »Und wenn es so wäre?«, fragte er stattdessen.
Murida antwortete nicht gleich, sondern sah ihn eine kleine Ewigkeit lang aus Augen an, die ihm mit einem Male um so vieles größer vorkamen und so endlos tief, dass er sich darin zu verlieren glaubte. Dann streckte sie die Hand aus und legte sie auf seine Finger. Um ein Haar hätte Andrej den Arm hastig zurückgezogen, wenn auch ganz bestimmt nicht, weil ihm ihre Berührung unangenehm gewesen wäre.
»Dann hätte ich nur eine einzige Frage«, sagte sie. »Und welche wäre das?« Andrej fragte sich, ob er eigentlich verrückt geworden war, ausgerechnet jetzt! –, trotzdem löste er sich nicht aus ihrem Griff, sondern erwiderte ihn sogar. Es fühlte sich gut an.
»Muss ich Angst vor euch haben?«
Die ehrliche Antwort wäre gewesen: Ich weiß es nicht.
Doch Andrej zog nun doch behutsam die Hand zurück und stand auf. »Nein«, sagte er. »Ich würde dir nie etwas antun. Und Abu Dun auch nicht. Glaub mir, ich kenne ihn wirklich lange genug. Er hat großen Spaß daran, den tumben Dummkopf zu spielen, aber er ist alles andere als das. Ich würde ihm mein Leben anvertrauen.« Erschlug die Zeltplane zurück und machte eine auffordernde Geste. »Um genau zu sein, habe ich es schon oft genug getan.«
»Ungefähr dreihundertmal?«, fragte Murida. Sie wirkte ein bisschen enttäuscht, auch wenn ihm der Grund nicht ganz klar war, folgte aber seiner Aufforderung und trat gebückt vor ihm aus dem Zelt. Die Stimmen wurden lauter. Zwei Janitscharen eilten im Laufschritt zum Ufer. Vielleicht hatte Murida ja recht, und er sollte besser hingehen, bevor noch ein Unglück geschah.
»Wir reden darüber«, sagte er. »Ich erzähle dir alles, das verspreche ich. Aber nicht jetzt.« »Alles oder alles, was ich wissen muss?«, fragte Murida spitz. »Ich meine: Sagt ein Mann wie du das nicht immer in so einem Moment?« Ohne ein weiteres Wort ging Andrej los, den Stimmen entgegen. Mit seinen anderen Sinnen spürte er Zorn. Aber da war auch noch etwas anderes. Wie schon so oft in den letzten Tagen hatte er das Gefühl, nicht mehr allein zu sein, auf eine
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