Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
es vermieden, tatsächlich ins Wasser zu gehen oder ihm auch nur zu nahe zu kommen. Aus der Ferne konnte Andrej es nicht entdecken, aber er nahm an, dass das Krokodil immer noch dort lauerte. Eine ganze Weile sahen sie schweigend zu, wie sich die Männer mit der Selbstverständlichkeit erfahrener Seeleute auf der kleinen Flotte verteilten. In der Dunkelheit über dem Fluss wirkten sie wie Gespenster. Etwas platschte, und Abu Dun legte die Stirn in Falten, doch dann grinste er schadenfroh.
Das Platschen wiederholte sich, und ein sonderbarer und nicht unbedingt angenehmer Geruch stieg Andrej in die Nase, den er im ersten Moment nicht einordnen konnte. Abu Dun legte den Kopf auf die Seite, wie um zu lauschen, und sein Grinsen wurde breiter. »Was tun sie da?«, murmelte Murida. »Spanische Seeleute scheinen ein sehr reinliches Völkchen zu sein«, antwortete Abu Dun fröhlich. »Sie werfen Abfälle über Bord … oder war es Fleisch?« Murida guckte verständnislos, aber Sharif sah den Nubier entsetzt an und watete dann wie von der berühmten Tarantel gestochen ins Wasser, dass es nur so spritzte. »Capitan!« ‚ brüllte er. »Kommen Sie zu –« Er keuchte überrascht auf, als Abu Dun den Arm ausstreckte und ihn mit schon fast brutaler Kraft zurückriss. Ein dumpfer Knall ertönte, als ein gewaltiges Kiefernpaar genau dort zusammenschlug, wo sich eben noch sein Unterschenkel befunden hatte.
Das Krokodil, einmal seiner Deckung beraubt, setzte seiner vermeintlichen Beute nach und hätte sie wahrscheinlich sogar eingeholt, hätte Abu Dun ihm nicht einen Tritt vor die Schnauze versetzt, der es ins Wasser zurückschleuderte.
»Verdammte Biester!«, schimpfte Sharif, ohne sich auch nur mit einem Blick bei Abu Dun zu bedanken. Er stürmte wieder vor, blieb aber in respektvollen Abstand vom Wasser stehen und brüllte aus Leibeskräften: »Kapitän Fernandes! Ich warne Euch! Kommt zurück, oder Ihr werdet es bereuen!«
Die erste Dau löste sich aus der kleinen Flotte und begann sich nahezu auf der Stelle zu drehen, als sie in den Sog der Strömung geriet. Das Segel spannte sich mit einem Knall, als die Seeleute es mit einer Geschicklichkeit ausrichteten, die selbst Andrej eine gewisse Bewunderung abnötigte. Sharif gab ein Knurren wie ein zorniger Hund von sich und streckte fordernd den Arm aus. Einer der Janitscharen reichte ihm eine langläufige Muskete. »Hauptmann!«, sagte Andrej scharf. Sharif schoss in der Luft und wartete gerade, bis der peitschende Knall verklungen war, bevor er empört schrie: » Capitan, das ist die letzte Warnung!« Die Dau bewegte sich weiter zur Flussmitte hin und damit in die Strömung herein, und zwei weitere Boote teilten sich knarrend von dem kleinen Verband. Die Männer duckten sich hinter den niedrigen Bordwänden oder einer anderen improvisierten Deckung (die auch schon einmal aus einem Kameraden bestehen konnte), und Sharif ließ sich eine zweite Muskete reichen. Als er rasch und fast ohne zu zielen anlegte, war Abu Dun mit einem einzigen schnellen Schritt neben ihm und schlug die Waffe zur Seite. Der Schuss löste sich dennoch, aber die Kugel ließ nur eine harmlose Fontäne aus dem Wasser weit hinter den Schiffen aufspritzen. Wütend fuhr Sharif zu ihnen herum. Aus den Augenwinkeln sah Andrej, wie sich mindestens ein halbes Dutzend Musketenläufe auf den Nubier richteten. »Hauptmann, bitte!« sagte Andrej rasch. »Abu Dun hat recht! Wollt Ihr wirklich auf diese Männer schießen? Sie sind nicht unsere Feinde!«
Sharifs Blick machte klar, dass er nichts mehr wollte als ganz genau das. Eine Sekunde lang las Andrej nichts als puren Hass in seinen Augen, doch dann hob er die Hand, und der Großteil der Musketenläufe senkte sich, wenn auch nicht alle.
»Auf welcher Seite steht Ihr eigentlich?«, fauchte Sharif.
»Auf der Seite derer, die überleben wollen«, antwortete Andrej an Abu Duns Stelle. »Wollt Ihr wirklich, dass die Machdiji dabei zusehen, wie wir uns gegenseitig umbringen?«
Sharif sah ganz so aus, als würde er jetzt erst recht aus der Haut fahren, doch dann nickte er nur abgehackt und wandte sich mit grimmiger Miene an Abu Dun. »Und das ist wirklich dein Ernst, schwarzer Mann?«, fragte er.
»So wahr ich hier stehe, kleiner Mann«, erwiderte Abu Dun.
»Gib deinen Männern den Befehl, das Feuer zu eröffnen, und unsere Wege trennen sich auf der Stelle.«
Sharif reagierte … seltsam. Einen Moment lang versuchte er noch, den Nubier niederzustarren, doch ohne
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