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Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi

Titel: Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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spottete Murida.
    Andrej fragte sich erneut, ob das Mädchen ihnen vom ersten Moment an etwas vorgemacht hatte der ob er vielleicht etwas in ihr hatte sehen wollen, das niemals da gewesen war. Murida wartete auf eine Antwort und sah schließlich ein, dass sie sie nicht bekommen würde. Sie maß ihn mit einem Blick, der etwas in ihm berührte, von dem er nicht wollte, dass es angetastet wurde. Er sah ihr an, wie ihre Stimmung binnen eines einzigen Augenblickes umschlug. Jetzt, da er wusste, was mit ihr los war, verstand er ihre Sprunghaftigkeit besser, denn es war nichts anderes als das Kat, das nicht nur ihren Körper zerstörte, sondern auch ihre Seele fraß. »Beantwortest du mir eine Frage, Ungläubiger?«, fragte sie geradeheraus.
    »Tue ich das nicht schon die ganze Zeit?« »Wie ist es, wenn man stirbt?« Andrej hätte nicht sagen können, was ihn mehr überraschte: die Direktheit ihrer Frage oder wie viel sie offensichtlich über Abu Dun und ihn wusste. Er fragte sich, wie viel Sharif wirklich über sie wissen mochte. Und vielleicht nicht nur er. »Ziemlich endgültig«, erwiderte er lahm. Mit einem nervösen und unglaubwürdigen Lächeln fügte er noch hinzu: »Jedenfalls vermute ich das.« Murida drehte das Gesicht hoch und sah ihn schon wieder auf eine Weise an, die ein süß prickelndes Gefühl in ihm weckte. Das konnte er im Augenblick gar nicht brauchen.
    »Aber es geht weiter, irgendwie?«, fragte sie. Fast hörte es sich an wie ein Flehen. Zugleich verringerte sich wie zufällig der Abstand zwischen ihnen, und die harten Linien ihre Silhouette gegen das Sonnenlicht schienen an Schärfe zu verlieren.
    »Das weiß ich nicht«, antwortete Andrej vorsichtig.
    »Diese Frage solltest du vielleicht besser einem Geistlichen stellen oder einem Philosophen.«
    »Du willst nicht darauf antworten«, sagte Murida traurig.
    »Weil ich es nicht kann.« Andrej versuchte so ehrlich zu klingen wie möglich. »Wenn ich die Antwort auf diese Frage wüsste, dann würde ich jetzt nicht hier neben dir hergehen, sondern auf einem vergoldeten Stuhl in Rom sitzen oder auch in Mekka.«
    »Aber du bist doch –«
    »Nimm an, es gäbe Menschen, die der Grenze nahe gekommen sind«, antwortete Andrej vorsichtig.
    »Vielleicht ein winziges bisschen näher als die meisten anderen.« Etwas warnte ihn, nicht weiterzusprechen, aber einmal angefangen, konnte er auch nicht aufhören, so wenig wie sich Wasser wieder hinter die Tore einer einmal geöffneten Schleuse zurückdrängen lässt. »Hätten sie etwas Besseres dahinter gefunden, meinst du wirklich, sie wären zurückgekommen?«
    Murida sah ihn aus großen Augen an, in denen sich Hoffnung und Furcht einen lautlosen Kampf lieferten.
    Dann erwachte ein Ausdruck so unendlich tiefer Enttäuschung darin, dass Andrej gegen das Bedürfnis ankämpfen musste, sie tröstend in die Arme zu schließen.
    »Aber das ist nur eine Idee«, fuhr er fort. »Und vielleicht nicht einmal eine besonders gute.«
    Murida nickte. »Wenn du diesen Gedanken zu laut und vor den falschen Ohren äußerst, wirst du dich nicht auf einem goldenen Stuhl wiederfinden, Ungläubiger, sondern auf einem Scheiterhaufen.«
    »Da war ich schon«, erinnerte er. »Gleich neben dir.« Das Mädchen lachte pflichtschuldig, doch die Dunkelheit in ihren Augen nahm noch zu. Andrej empfand eine sachte Überraschung, als sich sein schlechtes Gewissen meldete. Das Letzte, was er wollte, war, ihr wehzutun. Als hätte sie seine Gedanken gelesen, stieß Murida ein fast mädchenhaftes Lachen aus und hakte sich bei ihm unter. Die Bewegung kam so überraschend, dass er erst gar nicht reagierte, sie dann aber nur umso heftiger, beinahe grob von sich schob.
    Murida wirkte bestürzt. »Aber was habe ich –?«
    »Entschuldige«, sagte Andrej rasch. »Das war … dumm. Ich wollte das nicht.«
    »Was?«, fragte Murida verwirrt.
    Andrej antwortete erst nach einer geraumen Weile und in einem Ton, als versuchte er einem enttäuschten Kind klarzumachen, warum sein Herzenswunsch nicht erfüllt wurde. »Wenn das hier vorbei ist, dann gehen wir fort, Murida«, sagte er.
    »Ihr und ich?«, fragte Murida und machte große Augen.
    Andrej blieb ernst. »Abu Dun und ich gehören nicht hierher.«
    Das Mädchen blieb stehen. Ob es ihm seinen väterlichen Ton oder die Worte übel nahm, konnte er nicht entscheiden, doch irgendetwas machte sie zornig. »Wohin gehört ihr denn, dein schwarzer Freund und du?«
    »Vielleicht nirgendwohin«, antwortete Andrej ehrlich.

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