Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
Es lag ihm nach wie vor fern, dem Mädchen wehtun zu wollen, auch wenn er allmählich das Gefühl bekam, sie legte es darauf an, als sie nun schnippisch versetzte: »Und auf gar keinen Fall in meine Nähe, nicht wahr?« Jetzt benahm sie sich wirklich wie ein verstocktes Kind. Seine Gefühle mussten sich wohl deutlich auf seinem Gesicht widergespiegelt haben, denn Muridas Blick wurde weich. Aus Zorn und kindlichem Trotz wurde Mitgefühl, so tief wie der Abgrund aus Verzweiflung, in den er vor einem Atemzug noch geblickt hatte. »Jetzt verstehe ich erst«, sagte sie. »Wie konnte ich nur so blind sein? Hat sie dir sehr wehgetan?«
»So sehr, wie es nur geht«, erwiderte Andrej, für einen Moment hin- und hergerissen zwischen dem Schmerz einer wieder aufbrechenden alten Wunde und schierem Zorn. »Sie war rücksichtslos genug zu sterben.« »Oh«, flüsterte Murida betroffen. »Das … das tut mir leid.«
Andrej schwieg, schon weil er in diesem Moment gar nicht hätte antworten können. Erinnerungen strömten wie Gift in seine Gedanken, Gefühle drohten ihn zu übermannen. War es wirklich erst ein Jahr her, dass sein Leben in einer brennenden Glasmanufaktur auf Murano einen so radikalen Wandel genommen hatte? Ihm kam es vor, als wäre es gestern gewesen, und vermutlich würde sich das auch in weiteren hundert Jahren nicht ändern. »Es tut mir wirklich leid, Andrej«, sagte Murida noch einmal. Hatte sie ihn eigentlich zuvor schon einmal mit seinem Namen angesprochen, statt ihn wie üblich nur Ungläubiger zu nennen? Er erinnerte sich nicht. »Ich wollte dir keinen Schmerz zufügen.« »Das hast du auch nicht«, log Andrej wenig überzeugend und bekam als Antwort nur ein verständnisvolles Lächeln. »Aber jemand anders hat es getan«, sagte sie. »Was ist passiert? Was hat sie dir angetan?«
Andrej wollte nicht antworten und musste es auch nicht, denn in diesem Moment registrierte er eine Bewegung am vorderen Ende der Kolonne. Zwei, drei und gleich darauf noch ein vierter Reiter lösten sich aus der Formation und hielten in einem flachen und sehr schnellen Bogen auf sie zu. Einer von ihnen bot auf den ersten Blick ein fast schon komisches Bild, denn er schien ein viel zu kleines Pferd zu reiten, doch dann sah er, dass es Abu Dun war. Das Tier tat ihm leid. »Ich verstehe.« Murida war seinem Blick gefolgt. Sie legte die Hand auf seinen Unterarm, und schon diese sachte Berührung, kaum heftiger als der Schlag eines Schmetterlingsflügels, schien fast mehr zu sein, als er in diesem Augenblick ertragen konnte. »Heute Abend«, sagte sie. »Wenn es dunkel geworden ist, komme ich in dein Zelt, und dann kannst du mir alles erzählen.« Damit stellte sie sich auf die Zehenspitzen und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, ehe er begriff, was sie vorhatte.
»Ich störe euch Turteltäubchen ja nur ungern, aber ich brauche Euch, Delany.«
Sharifs Gesichtsausdruck stand in krassem Gegensatz zur Wahl seiner Worte. Seine Augen schossen kleine zornige Blitze in Muridas und in seine Richtung, und seine Hände umklammerten das Zaumzeug viel zu fest. Seine Gereiztheit schien sich auf das Pferd zu übertragen, denn das Tier tänzelte unruhig auf der Stelle. Abu Dun hatte sein bemitleidenswertes Reittier neben ihn gelenkt und grinste grünfleckig und mit halb offen stehendem Mund schmatzend.
»Und wobei?« Andrej widerstand dem Impuls, einen Schritt zurückzuweichen und betreten den Blick zu senken, und Murida sah den Hauptmann ebenso trotzig wie herausfordernd an. Andrej wünschte sich, sie hätte es nicht getan.
»Es ist nicht mehr weit bis zum Dorf«, antwortete Sharif. »Vielleicht eine halbe Stunde oder weniger. Sie müssten unsere Annäherung schon bald bemerken. Ich reite mit ein paar Männern voraus, um alles vorzubereiten, und jemand muss den Rest führen. Ich möchte, dass Ihr das übernehmt.«
»Ich?«, fragte Andrej überrascht.
»Wisst Ihr einen besseren?«, fragte Sharif. Statt seine Antwort abzuwarten, drehte er sich halb im Sattel um und machte eine befehlende Geste, woraufhin ein Janitschar ein weiteres Pferd mit einem leeren Sattel brachte. »Du kommst mit uns«, fuhr er an Murida gewandt fort.
»Warum sollte ich das wohl –?«, begann Murida, doch Sharif unterbrach sie mit mühsam beherrschter Stimme:
»Du steigst sofort auf, oder ich zwinge dich dazu!«
»Tatsächlich?«, erkundigte sich Murida. »Und wie?« »Geh ruhig mit ihm«, mischte sich Andrej ein. »Er kann besser auf dich aufpassen als ich.«
»Und
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