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Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi

Titel: Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Schulterblättern zu spüren, störte ihn dabei nur wenig. Aufmerksam hielt er nicht nur die nähere Umgebung im Blick, sondern sah auch immer wieder über den Fluss und zum anderen Ufer hin. Zumindest aus großer Entfernung schien sich das Land dort nicht von dem auf dieser Seite zu unterscheiden: Ein schmaler Streifen aus üppig wucherndem Grün, der die Eintönigkeit der Wüste nur noch betonte. Alles, was dahinterlag, verschwand in einem wabernden Schimmern, als hätte eine Fata Morgana vom Rest der Welt Besitz ergriffen. Er meinte Schatten zu sehen, wie die Schemen weit entfernter Berge oder vielleicht auch die Mauern einer Stadt irgendwo am Horizont, doch als er zum zweiten Mal hinsah, waren sie verschwunden und dann wieder da. Vielleicht spielten ihm seine Nerven einen Streich, aber vielleicht stimmte es auch, was sich die Menschen über dieses Land erzählten, wenn sie behaupteten, es sei das Land der Toten.
    Es verging tatsächlich kaum mehr als eine halbe Stunde, bis sie das Dorf erreichten, von dem Sharif gesprochen hatte. Es war größer als erwartet, beinahe schon eine kleine Stadt, und lag nicht direkt am Fluss, sondern ein gutes Stück entfernt auf einer Anhöhe. Der Anblick erinnerte Andrej an viele kleinere Städte, die er aus seiner Heimat kannte, nur dass die Häuser eine andere Farbe hatten und es weder einen Kirchturm noch eine Stadtmauer gab. Und noch etwas stimmte nicht. Andrej hatte nicht erwartet, von einer Horde neugieriger Kinder und freundlicher Einheimischer begrüßt zu werden, die ihnen lachend entgegenkamen und sie freundlich empfingen, doch sie sahen absolut niemanden, als sie sich den sandfarbenen, niedrigen Gebäuden näherten. Die Stadt lag wie ausgestorben da, und zumindest im allerersten Moment hörte er auch keinen Laut, der auf die Anwesenheit von Menschen hinwies. Er ritt bis auf zwanzig Schritte an die ersten Häuser heran, dann blieb er stehen und hob die Hand. »Wartet hier«, sagte er. »Ich gehe allein voraus und sehe nach dem Rechten.«
    Niemand widersprach. Nur ein einzelner Mann schloss zu ihm auf und nahm die Muskete von der Schulter. Andrej wies ihn nicht zurecht. Wenn er ganz ehrlich war, dann war ihm wohler dabei, nicht allein weitergehen zu müssen.
    »Also gut«, sagte er. »Die anderen bleiben hier, bis ich sie rufe. Oder ihr Schüsse hört. Komm!«
    Der Soldat setzte sich gehorsam in Bewegung, die Muskete so fest umklammernd, als wollte er sie in Stücke brechen. Als sie die schmale, ungepflasterte Straße betraten, die zwischen den ersten Häusern hindurchführte, nahm seine Nervosität noch zu. Andrej spürte, wie sich sein Atem beschleunigte und wie schnell sein Herz schlug. Er konnte ihn verstehen. Andrej selbst war weit davon entfernt, Angst zu haben, aber auch ihm bereitete diese Umgebung Unbehagen, und mit jedem Schritt, den sie taten, nahm es zu. Dieser Ort war nicht so ausgestorben, wie es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Er hörte Atemzüge und verstohlene Geräusche, und er konnte die misstrauischen Blicke zahlloser Augenpaare körperlich spüren, die ihn durch Fensterritzen und aus den Schatten heraus beobachteten. Nichts davon war ihm fremd. Es war gewiss nicht die erste Stadt, in die er als möglicher oder auch ganz offen erklärter Feind kam, und auch nicht das erste Mal, dass er misstrauisch oder feindselig belauert wurde. Aber hier kam noch etwas dazu, das er nicht greifen konnte und das ihn schon allein deswegen noch nervöser machte. Ein enervierendes Gefühl, als würde er trotz der unheimlichen Stille das Flüstern verschwörerischer Stimmen hören, deren Worte nicht zu verstehen waren, die sich aber allein durch ihren Tonfall verrieten.
    »Dieser Ort ist unheimlich, Herr«, sagte der Janitschar. »Ja, das ist er«, bestätigte Andrej. »Und vergiss den Herrn. Mein Name ist Andrej.« Der Janitschar nickte nur, und sein Blick tastete aufmerksam über die sandfarbenen Wände und geschlossenen Fensterläden. Schließlich hörte Andrej doch Stimmen, weit entfernt, aber erregt. Eine davon gehörte Sharif. Sie gingen schneller und erreichten einen großen Platz in der Mitte des Ortes, der von den ersten zweistöckigen Gebäuden gesäumt wurde, die er hier zu Gesicht bekam, eines davon ein wahrer Palast, den er in einem Ort wie diesem niemals erwartet hätte. Dann gewahrte er Abu Dun, Sharif und die anderen und vergaß die architektonischen Feinheiten der namenlosen Ortschaft. Ein Einwohner des Dorfes, ein alter Mann in einem

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