Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
überlegte einen Moment angestrengt. Wieder kam ihm in den Sinn, was Murida und vor ihr auch ihr Vater über dieses Land erzählt hatten, und mit einem Male kamen ihm die Geschichten vom Reich der Toten und den unheimlichen Dingen, die hier ihr Unwesen treiben sollten, gar nicht mehr so albern vor.
Schaudernd sah er sich um und versuchte sich mit mäßigem Erfolg einzureden, dass das eisige Kribbeln zwischen seinen Schulterblättern nur vom kalten Wüstenwind kam, der durch seine Kleidung drang. Vielleicht war dieses Land ja nicht wirklich das Reich der Toten, aber für die Lebenden war es auch nicht gemacht. Andrej suchte den Anfang des Felspfades und machte sich an den Abstieg. Seine Bewunderung für Murida stieg noch einmal gehörig, kaum dass er die ersten Meter hinter sich hatte. Der Pfad war in der Tat nicht einmal breit genug, um beide Füße nebeneinanderstellen zu können, und so glatt, dass er es nur wagte, kleine, vorsichtige Schritte zu machen. In mehr oder weniger regelmäßigen Abständen waren Vertiefungen in den Fels darüber gemeißelt worden, in denen er sicheren Halt fand, doch nach nur ein Dutzend Schritten gab Andrej auf und kletterte kurzerhand an der Felswand hinunter.
Es war einfacher, als es von oben den Anschein gehabt hatte, wenn auch vermutlich nur für jemanden wie ihn, der einen Sturz in die Tiefe nicht wirklich zu fürchten brauchte. Die letzten vier oder auch fünf Meter überwand er mit einem beherzten Sprung, an dessen Ende ersieh abrollte und in den Sichtschutz desselben Felsens tauchte, dessen Anblick ihm im ersten Moment einen solchen Schrecken eingejagt hatte.
Aufmerksam lauschte er. Das Zischen des Wüstenwindes kam ihm mit einem Male lauter vor und auf sonderbare Weise verändert, als wäre es nur zu dem einzigen Zweck geschaffen worden, etwas anderes und Seltsames und vielleicht Gefährliches zu verbergen. Und war da nichteine Bewegung in seinem Augenwinkel, ein Huschen, das sofort verschwand, wenn er es zu fixieren versuchte?
Andrej sagte sich selbst, dass es Unsinn sei, albernes Zeug, mit dem man Kinder erschreckte und das auch nur Kinder erschrecken sollte … aber es nutzte nicht viel. Er fühlte sich beobachtet. Alle seine Instinkte, die ihn jahrhundertelang zuverlässig vor vermeintlich unsichtbaren Gefahren gewarnt hatten, waren in Aufruhr, als nähme er etwas mit einem Sinn wahr, von dem er bisher noch gar nicht gewusst hatte, dass er ihn besaß.
Mit sehr viel mehr Mühe, als er sich eingestehen wollte, schüttelte er diesen Gedanken ab und konzentrierte sich wieder auf die Gebäude vor sich.
Gebäude war vielleicht nicht das richtige Wort. Es waren Ruinen, von der Zeit und dem Wüstenwind zu sonderbar organisch wirkenden Formen geschliffen, die ihn in der Dunkelheit an den Umriss eines schlafenden Drachen erinnerten, der beim kleinsten verräterischen Laut hochschrecken und sich auf ihn stürzen konnte, um …
Andrej riss sich zusammen und richtete sich geduckt hinter seiner Deckung auf, um zu einem anderen, den Ruinen näher gelegenen Felsen zu huschen. Eigentlich gab es keinen Grund, sich anzuschleichen. Hier unten war die Nacht beinahe noch dunkler als oben, und wer immer in seine Richtung blickte, konnte nichts als die schwarze Felswand sehen. Trotzdem bewegte ersieh so vorsichtig und lautlos weiter, wie er nur konnte. Er hatte in dieser Nacht schon genug Dinge erlebt, mit denen er nicht gerechnet hatte.
Das Licht, so erkannte er nun, drang durch die schmalen Ritzen uralter Läden, die sechs schmale, sehr hohe Fenster, fast schon Schießscharten, verschlossen. Durch das Rauschen des Wüstenwindes waren nun eindeutig andere Laute zu hören, menschliche Stimmen, das leise Scharren von Metall und vielleicht Schritte. Andrej vermochte nicht zu sagen, wessen und wie viele Stimmen sich dort unterhielten, und zu seinem Erstaunen war es ihm auch nicht möglich, die Worte zu verstehen. Aber er war auf dem richtigen Weg. Auch wenn er sie wedersehen noch hören konnte, Murida war dort vorne irgendwo. Das wusste er einfach.
Lautlos huschte er weiter, bewegte sich von Deckung zu Deckung und Schatten zu Schatten und erreichte schließlich das erste Gebäude. Stimmen und Geräusche wurden lauter, gewannen aber nicht an Verständlichkeit, doch immerhin war jetzt klar, dass es mehr als nur zwei Personen waren, die sich dort unterhielten. Andrejs Hand strich über den Schwertgriff, wie um Kraft aus seiner beruhigenden Anwesenheit zu gewinnen, und tastete dann über die
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