Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
rechteckigen Loches und zog sich in die Höhe. Vollkommene Nacht empfing ihn. Irgendwo zur Linken bemühte sich Muridas Fackel vergeblich, gegen die Finsternis anzukämpfen, alles andere war in so absolute Schwärze getaucht, dass ihm beinahe war, als wären sie lebendig begraben – wäre da nicht zugleich ein Gefühl von Weite gewesen.
»Bleib, wo du bist!«, rief Murida. Seltsamerweise gelang es ihm nicht, die Richtung zu bestimmen, aus der ihre Stimme kam, aber er hatte das verrückte Gefühl, dass es nicht dieselbe war, in der er das Licht sah. »Ich komme gleich zurück!«
Das Echo ihrer Stimme sagte ihm, dass sie sich in einem Saal von gewaltigen Ausmaßen befanden. Unruhe ergriff ihn. Etwas war hier, das spürte er. Behutsam richtete er sich auf, schloss die Augen, um sich ganz auf seine anderen Sinne zu konzentrieren, und spürte Weite, eine gewaltige Leere, die zugleich voller beunruhigender Dinge war. Er konnte das Alter seiner Umgebung fühlen; als hätten all die ungezählten Jahre und Jahrhunderte Substanz gewonnen, indem sie unsichtbar rings um ihn herum kristallisiert waren und ihn nun zu erdrücken drohten. Etwas scharrte. Andrej fuhr erschrocken herum und starrte aus aufgerissenen Augen in die Finsternis, ohne etwas zu sehen, doch dann hörte er das Rascheln von Kleidung und roch sauren Schweiß und das ganz sachte, aber unverwechselbare Aroma von Kat. Hadschi. »Bist du hier, Ungläubiger?«
»Wahrscheinlich näher, als dir lieb ist«, antwortete Andrej. Schlurfende Schritte kamen näher, dann hörte er, wie Hadschi in seinen Mantel griff und etwas herauszog. Als er weitersprach, wurden seine Worte von einem leisen Schlürfen und Schmatzen begleitet, und der Geruch von Kat wurde deutlicher. »Ich glaube, ich muss mich bei dir entschuldigen, Ungläubiger.«
»Wofür?«
»Ich habe dich falsch eingeschätzt«, antwortete Hadschi schmatzend.
»Das passiert vielen«, erwiderte Andrej unwirsch. Er versuchte auf Murida zu lauschen, doch er hörte sie nicht.
Sie war irgendwo, aber er konnte weder sagen, in welcher Entfernung, noch, in welcher Richtung. Wo auch immer sie waren, diese unheimliche Umgebung bereitete ihm nicht nur Unbehagen, sie narrte seine Sinne.
»Ich habe dich für einen Aufschneider und ein Großmaul gehalten«, fuhr Hadschi unbeirrt fort. »Das tut mir leid. Ich entschuldige mich dafür.«
»Und jetzt tust du es nicht mehr?«
»Nein.« Andrej konnte Hadschis Kopfschütteln hören.
»Dieser Stein. Er muss eine Tonne gewogen haben.
Niemand, den ich kenne, hätte ihn auch nur einen Fingerbreit bewegen können.«
»Ich halte mich gut in Form«, antwortete Andrej ausweichend, wusste aber selbst, dass das wenig glaubwürdig klang. Kein normaler Mann hätte dieses Hindernis überwinden können. Selbst seine Kraft hätte beinahe nicht ausgereicht, und er war ungleich stärker als ein Sterblicher. Dieser uralte Mechanismus, das begriff er, war nichts anderes als ein Test gewesen.
Und er war nicht einmal ganz sicher, ihn auch bestanden zu haben.
»Es ist mir trotzdem wichtig –« Andrej unterbrach ihn, scharf und mehr als nur eine Spur zu laut: »Schon gut. Mach dir keine Sorgen, kleiner Mann. Wenn ich jeden umbringen würde, der mich versehentlich beleidigt, dann wäre die Welt mittlerweile ein einsamer Ort.« Er bereute die Worte schon, bevor er sie ganz ausgesprochen hatte. Sie waren angeberisch und großmäulig – mithin genau das, wofür Hadschi ihn gehalten hatte – und hätten mehr zu Abu Dun gepasst als zu ihm. Aber immerhin taten sie ihren Dienst. Hadschi sagte nichts mehr, sondern beschränkte sich darauf, sein Kat zu kauen und Angst zu haben. In diesem Moment näherten sich auch wieder Muridas rasche, leichte Schritte, und das Licht der Fackel kehrte zurück und war nicht nur heller geworden, sondern hatte sich verdoppelt. Sie hielt jetzt in jeder Hand eine brennende Fackel, die unter beständigem Knacken und Funkensprühen abbrannten, sodass sie sie an den ausgestreckten Armen so weit von sich weghielt, wie es nur ging. Dennoch hatten einige Funken bereits ihr Gewand versengt, und an einer Stelle kräuselte sich ein dünner grauer Rauchfaden aus ihrem Haar. Die Fackel musste uralt sein.
Hadschi trat ihr rasch entgegen, nahm ihr eine Fackel ab und verzog das Gesicht, als prompt ein Funkenregen aufstieg und in sein Gesicht biss. »Folgt mir.« Murida drehte sich um und zeigte in die Richtung, aus der sie gekommen war. Andrej rührte sich nicht. Wieder beobachtete er
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