Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
Arré schob nur das Kinn nach vorn und grollte und sah dabei fast wie ein störrisches Kind aus.
Elith sagte: »Ich geh für ein paar Stunden aus dem Haus, bloß für ein, zwei Stunden, und das da finde ich vor, wenn ich heimkomme!«
Sorren trat zu ihr. Die alte Frau roch nach Jasminseife; sie hatte also ihrem Freund, dem Seifenmacher, einen Besuch abgestattet. »Warum bist du denn so zornig?« fragte Sorren.
Elith schniefte. »Keiner hört auf mich!« Ihre Stimme nahm den vertrauten weinerlichen Ton an.
Arré sagte: »Ich will nichts davon hören!« Wieder stieß sie der Schluckauf. Sie leckte sich über die Lippen. Ihre Stimme klang träge, beinahe dumpf. »Ich hab' Durst.«
»Du kannst nicht mehr bekommen!« sagte Elith.
Arré hob eine Hand und schleuderte das Glas fort, das von der Wand abprallte. Es hinterließ einen Riß in der Tapete und zerschellte auf dem Boden.
Sorren ging in die Küche. Sie nahm einen Becher und einen Krug, füllte Wasser in den Krug und stellte beides auf ein Tablett. Lalith hockte auf der Treppe und schniefte in einen Putzlumpen. Ihre Wangen waren mit Tränenspuren bedeckt, Sorren fragte: »Lalith, warum hast du ihr soviel Wein gebracht?«
Das Mädchen antwortete: »Sie hat es mir befohlen. Was hätte ich denn tun sollen?«
»Nichts«, sagte Sorren. Sie überlegte, ob Arré wohl soviel getrunken hatte, daß ihr übel werden würde. Sie hoffte, daß das nicht der Fall war. »Sie hat ein Glas zerschmettert«, sagte sie. »Du holst besser den Besen und fegst sodann die Scherben zusammen.«
Sie nahm das Tablett in beide Hände und trat in das Arbeitszimmer. Elith stand noch immer unter der Tür, und Sorren mußte sich an ihr vorbeidrücken. Sie stellte das Tablett auf den Tisch, goß Wasser in den Becher und reichte ihn Arré. Arré trank gierig. Ihr Gesicht war heftig gerötet. »Gut«, flüsterte sie. Sie sackte tiefer in ihren Sessel hinein, die Lider fielen ihr zu.
Sorren hockte sich auf den Schemel. Lalith kam mit einem Besen und einem nassen Tuch hereingeschlichen.
»Möchtest du nicht lieber ins Bett?« fragte Sorren leise. Es kam keine Antwort. »Lalli, hol den Koch!« befahl Sorren.
»Ich hab's ja gewußt, daß das passieren wird«, erklärte Elith von der Tür her.
Sorren spürte, wie sie die Beherrschung verlor. »Anstatt herumzudröhnen, daß du es ja immer gesagt hast, solltest du lieber das Bett für sie aufdecken.«
Doch Elith mümmelte nur etwas und blieb beharrlich und unverrückbar stehen. Der Koch steckte den Kopf herein. »Was ist denn das?« sagte er und zog ein schiefes Gesicht. »Oh!« Er trat zu Arré und hob ihr mit einer raschen, sanften Bewegung ein Augenlid hoch. Der Mund fiel ihr auf, und sie atmete schwer, rührte sich aber nicht. »Nimm du die Beine!« sagte der Koch zu Sorren, dann bückte er sich und schob seine langen Arme unter Arrés Achseln, und zu zweit schleppten sie sie aus dem Zimmer und die Treppe hinauf.
Sorren füllte kühles Wasser in ein Becken und trug es ans Bett. Sie überlegte, was geschehen sein mochte, was Arré veranlaßt haben konnte, so maßlos zu trinken. Sie betupfte ihr das Gesicht, das schuppig und trocken war. Arré hatte nun auch laut zu schnarchen begonnen, und der Atem roch süßlich wie frischgemolkene Milch. Plötzlich überlief Sorren ein Schauder, und der Lappen entfiel ihrer Hand. Arré war zwar oft müde, aber noch nie war sie krank gewesen. Was, wenn sie an einer Krankheit litt, einem Fieber, vielleicht sogar dem Lungenfieber? Was, wenn sie sogar so krank war, daß sie sterben würde?
Sie setzte das Becken auf den Boden und floh zur Tür. Arré murmelte etwas und reckte eine Hand zur Decke. Sorren trat wieder ans Bett. »Arré?« fragte sie.
»Hnnh«, sagte Arré. Sie öffnete ein Auge. »Sorren. Geh nicht fort!«
Sorren setzte sich auf den Bettrand. »Wie fühlst du dich?« fragte sie.
»Durstig.«
Am Abend fand sich Paxe im Haus ein. Die Sonne wollte gerade untergehen. Lalith geleitete sie in den Oberstock. Sie hatte ihre Stiefel mit den Holzabsätzen an, und so wirkte sie noch größer als gewöhnlich. Sorren war überaus froh, sie zu sehen. Arré war wach; sie hatte den ganzen Nachmittag hindurch in Schüben geschlafen und gewacht. Nun saß sie halb in ihren Kissen. Als Paxe sich setzte, machte sie die Augen auf.
»Ah. Du?« Sie richtete sich mühsam weiter auf. »Hast ... hast du die sejis?«
Paxe antwortete: »Ich konnte ihn nicht dazu bewegen, sie früher als von heut an in zehn Tagen zu
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