Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
Teeschale. »Aber was hat Ron Ismenin davon, sich eine Kampftruppe aufzubauen? Hier in dieser Stadt leben zu viele Menschen, als daß man sie unter dem Kriegsrecht regieren könnte.«
»Möchtest du noch Tee?« fragte Arré und griff nach dem Glöckchen, um Lalith herbeizurufen.
»Nein, danke«, sagte Marti. »Warum sind eigentlich die Fische in der Schale blau und rot?«
»Weil die Medfarben Blau und Rot sind«, sagte Arré. »Ich habe sechs davon.«
»Aber ich habe noch nie einen blauen Fisch gesehen«, sagte die alte Frau.
»Ich auch nicht. Vielleicht hat der Töpfer sie gesehen.«
»Hmmm.« Marti dachte darüber nach. »Also, ich glaube, der Künstler hat sich das einfach bloß so erfunden. Ich bin froh, daß du deine Hofmeisterin beauftragt hast, jemanden zu finden, der Kim beschattet. Das nur nebenbei. Das war ein guter Einfall.«
»Es war nicht meine eigene Idee«, sagte Arré. »Ron Ismenin hat zuerst daran gedacht. Er hat nämlich irgendeinen armen Wurm geschickt, der meine Hofmeisterin beschatten sollte.«
Marti sagte langsam: »Arré, ich glaube nicht, daß das die Idee von Ron Ismenin war.«
»Oh? Warum?«
»Ich glaube, das war die Idee deines Bruders«, sagte Marti. Ihre Stimme klang sanft, aber sehr bestimmt. »Er ist mit Ron Ismenin befreundet. Im Verlauf der Jahre habe ich meine Augen auf deinem Bruder gehabt. Dein Bruder ist ein Raubtier. Cha Minto ist ein höflicher und anständiger Mann – wie war noch das Wort, das der L'hel über ihn gesagt hat? Ach ja, Kim sei willig und gehorsam –, also, er ist anständig, aber willig und gehorsam, und dein Bruder hat ihn in irgend etwas hineingelockt. Ich habe sie bei unserer Ratssitzung beobachtet. Hast du das Gefühl gehabt, daß Cha sich ganz wohl fühlte? Ich nicht: er war zornig und hatte Angst, und er schien nicht zu wissen, wie er sich aus der Falle befreien sollte. Ich habe großes Mitleid mit Cha.«
Dein Bruder ist ein Raubtier ... Arré erschauderte bei diesen Gedanken. »Ich gleichfalls«, sagte sie. Sie erinnerte sich an Isak, als er den verzauberten Adler getanzt hatte, wie seine Augen da in dem leidenschaftlichen Feuer des Adlers gebrannt hatten. Was ist aus meinem kleinen Bruder geworden, dachte sie voll Trauer.
Dann sagte sie: »Ich kann bei Isak überhaupt nichts erreichen.«
Marti sagte: »Er ist dein Erbe, nicht wahr?«
»Ja, und seine Kinder nach ihm. Er hat drei, und der älteste, Riat, ist acht.«
»Nach wem schlägt er, nach seinem Vater oder nach seiner Mutter?«
»Er sieht seinem Vater ähnlich«, sagte Arré. »Aber er hat den Verstand seiner Mutter und ihre Freundlichkeit.«
»Seine Mutter ist eine Ishem, nicht wahr?« fragte Marti. »Eine gute Verbindung.« Wieder blickte sie in ihre Teeschale. »Ich glaube, jetzt möchte ich doch noch einen Schluck Tee, Arré.«
Arré klingelte, und Lalith kam. Mit tiefer Verneigung nahm sie Martis Schale und reichte sie ihr gefüllt zurück. »Für mich bring Wein!« befahl sie, und als er ihr serviert wurde, nahm sie hastig einen großen Schluck.
»Was hältst du von der Ismenin-Verlobung?« fragte Marti.
»Genau das wollte ich dich auch gerade fragen.« Der Wein verbreitete Wärme in ihrem Bauch. Sie trank noch einen Schluck.
»Du weißt natürlich«, sagte Marti Hok, »daß Col Ismenin seinen Namen aufgibt und daß Nathis Ryth die Tochter des Ratsvorsitzenden von Nuath ist, jenes Mannes, dessen Profil auf die Bronzemünzen geprägt ist.«
Das war eine Neuigkeit für Arré. »Nein, das habe ich allerdings nicht gewußt«, sagte sie.
»Ich habe mit meinen Karawanenführern über ihn gesprochen«, sagte Marti. »Die behaupten, er unterhält eine Privatarmee. Und sie sagen auch, daß seine Münzen in den meisten Siedlungen am Fluß als Zahlungsmittel angenommen werden.«
»Was hat er mit dieser Armee im Sinn?« fragte Arré.
»Derzeit nichts. Es ist eine ziemlich kleine Truppe. Aber Schwindler und Diebe machen einen weiten Bogen um Nuath. Sie ziehen es vor, hungrig zu bleiben, als sich von den Ryth-Soldaten erwischen zu lassen. Wie es heißt, sind die äußerst tüchtig.«
»Tüchtig, das sind unsere Stadtsoldaten ebenfalls.« Arré ließ die Armbänder an ihren Handgelenken klirrend kreisen. »Und Kendra-im-Delta braucht kein Privatheer, ganz gleich, was sie sich weiter oben am Fuß leisten. Wenn Ron Ismenin das denkt, dann irrt er sich gewaltig. Vielleicht sollte er nach Nuath ziehen und ein Ryth werden.« Etwas fiel ihr plötzlich ein. »Kommt dieser vulgäre Kerl
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