Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
vom Blauen Clan etwa zur Verlobung?«
»Ich denke, ja. Hast du vor, mit ihm über das Betragen seiner zukünftigen Verwandtschaft zu reden? Ich werde mich neben dich stellen und ganz schrecklich abweisend aussehen.«
Arré lächelte. »Ich kann nicht hingehen«, sagte sie. »Ich bin nicht eingeladen worden.«
Marti packte die Knaufkrücke ihres Stocks mit beiden Händen. »Was? Aber das ist doch lächerlich! Isak wird tanzen ...«
»Oh, das weiß ich wohl. Sorren schlägt die Trommeln für ihn. Meine Dienstboten sind begehrter als ich; ich hab' das früher schon gesagt.« Der Wein glühte in ihren Eingeweiden. Die Empörung, die sich auf Martis Gesicht breitmachte, erregte in ihr den Wunsch zu lachen.
Marti stieß die Stockspitze auf den Boden. »Aber du wirst hingehen!«
»Werde ich es wollen?«
»Selbstverständlich wirst du wollen! Kannst du nicht sehen, wie dumm Ron Ismenin dann dastehen wird? Er kann dich ja doch schlecht an der Tür abweisen lassen.«
Arré versuchte sich vorzustellen, wie Ron Ismenin ihr bedeutete, sie solle heimgehen. »Nein.« Sie begann breit zu grinsen. »Marti, du bist ein Dämon!« Was würde Isak tun, wenn sie einfach bei dem Fest auftauchte? »Ich werde hingehen.«
Marti schaute selbstgefällig drein. »Sorren wird also beim Fest trommeln. Natürlich werden sie die ›Werbung‹ bringen. Sie ist ein zauberhaftes Kind, Arré; gute Manieren, charmant, alles, was man sich nur wünschen könnte.«
»Ich weiß«, antwortete Arré. »Ich könnte auf sie nicht stolzer sein, wenn sie meine eigene Tochter wäre.« Die Worte schienen einen Augenblick lang wie Rauch in der Luft zu hängen.
Marti seufzte. »Schwerter, Arré ...« Ihre Stimme klang düster. »Schwerter und die ehrgeizigen Pläne der Ismeninas ... Was werden wir dagegen unternehmen? Hast du schon einen Plan? Du hast mich zwar hergerufen, um mich um Rat zu fragen, aber um ehrlich zu sein, ich habe keine Idee, was wir tun könnten.«
Arré sagte: »Aber ich glaube, ich weiß was.« Sie fragte sich, was Marti sagen würde, wenn sie ihr von den verschiedenen Zeiten erzählen würde, die die Zukunftsseher »geschaut« hatten, bei denen sich alle Ereignisse zu widersprechen schienen und die dennoch existierten und »geschaut« werden konnten. Welches ist die wahre Wirklichkeit? dachte sie. Die Zukunft, in der die Stadtbewohner sich gegenseitig auf den Straßen mit dem Schwert bekämpfen? Die andere, in der der Rat kyomos unter Bann stellt? Oder die, in der die Stadt brennt? Oder noch eine andere Zukunft? Zu welcher Zukunft wird mein Handeln beitragen?
Es spielte keine Rolle.
Sie strich mit den Fingerspitzen über die Fliederblüten. Eine Blüte löste sich und sank in ihren Schoß. Sie sagte: »Mein Plan geht dahin, die Dinge zu beschleunigen, so hoffe ich jedenfalls, und Ron Ismenin dazu zu bringen, verfrüht mit seinen versteckten Schwertern zu tun, was immer er damit vorhaben mag. Es kann natürlich gefährlich werden. Aber wenn es klappt, dann sind damit zwei Punkte sichergestellt. Erstens, daß er seine Pläne überstürzt in die Wege leiten muß, also wird es Pannen geben, und zweitens: daß er sich durch sein Handeln auf eine derartige Weise selbst ins Unrecht setzen wird, daß der L'hel ihn nicht länger unterstützen kann.«
Marti faltete die Hände im Schoß. »Sag mir, was du vorhast«, bat sie.
Als Sorren an diesem Nachmittag von ihren Einkäufen heimkehrte, traf sie auf eine kreischende Elith, Lalith in Tränen aufgelöst und eine gereizte, streitsüchtige und betrunkene Arré.
»Was ist los?« fragte sie die alte Frau auf dem Flur. Doch Elith war mit hochrotem Gesicht damit beschäftigt, Lalith auszuschimpfen. Sorren fing den Namen Arrés in der Tirade auf und ging auf Zehenspitzen zum Arbeitszimmer. Auf dem Lacktischchen standen zwei leere Karaffen. Sorren roch an ihnen und zog die Nase in Falten.
Arré saß in ihrem Sessel und schaute finster drein. Das Haar stand ihr wild und ungebändigt um den Schädel.
»Was ist passiert?« fragte Sorren. Sie hatte noch niemals erlebt, daß Arré mehr trank, als daß sie einen kleinen Schwips bekam.
»Nichts«, knurrte Arré.
Elith tauchte im Türrahmen auf. »Mehr nicht!« sagte sie und schüttelte den Zeigefinger gegen Arré. Sie wirkte auf Sorren wie eine Glucke, die wütend die Federn aufstellt.
»Ich trinke, wenn ich will und so viel ich will!« brüllte Arré zurück. Dann bekam sie einen Schluckauf.
»Warum willst du trinken?« fragte Sorren. Doch
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