Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
geschehen, um deinen Zielen zu dienen, nicht denen eines Fremden.«
Sorren nahm die Karten an sich. »Ich danke dir«, sagte sie zu Tukath. »Ich danke euch, daß ihr mir über meine Gabe Bescheid gesagt habt.«
Der Seher hob einen Finger. »Tukath sagt, sei vorsichtig!«
»Wobei?« fragte Sorren.
»Die Vergangenheit ruft dich gewißlich, und es ist ein verführerischer Ruf. Laß dich von ihm nicht in die Falle locken!«
Marti Hok hatte einmal etwas ganz ähnliches gesagt. »Dann soll ich also meine Gabe nicht benutzen?« fragte sie.
»Nutze sie, nutze sie!« murmelte Rinti.
»Benutze sie, wie du willst«, sagte Senta. »Aber laß nicht zu, daß sie dein Leben auffrißt. Denk daran, die Vergangenheit ist dahin und kann nie zurückkehren. Selbst wenn du es dir wünschen solltest.«
Rinti sprach: »Warum nur wird sie nicht müde? Sie müßte doch nach ihren Reisen müde sein!«
Senta blickte Tukath antwortheischend an. »Weil sie«, vermittelte sie, »in die Vergangenheit reist. Das Vergangene ist wie gefroren, ist starr und unveränderlich und bietet deshalb keinen Widerstand.«
»Dann kann ich also meine Karten dazu benutzen, nach Tornor zu gehen, wann immer ich es will!« sagte Sorren. »Ich brauche nicht erst auf eine Vision zu warten.«
»Nein, das brauchst du nicht«, sagte Senta für den Seher. »Aber du solltest es vielleicht. Es ist nicht weise, eine Gabe über Gebühr zu beanspruchen. Es sind Fälle bekannt, in denen sie dabei schwächer wurde. Und, Sorren, wenn du dem Ort deiner Träume nahekommst, dann sei nicht verwundert, wenn deine Gabe verschwindet oder abnimmt, oder überhaupt ganz vergeht. Je näher du in dieser Welt dem Objekt deines Schauens kommst, desto weniger von ihm wirst du erkennen können. Dies gilt für die Zukunft, also muß es auch für das Vergangene gelten.«
»Warum?« fragte Sorren.
»Wir wissen es nicht«, sagte Rinti. »Geh nach Elath und hilf uns, es herauszufinden!«
Aber Sorren wollte nicht nach Elath gehen. Sie wies den hartnäckigen Hexer mit einem Kopfschütteln ab. »Nein!« Dann schaute sie zu Senta. »Und jetzt möchte ich gehen.« Tukath lächelte sie mit warmen grauen Augen an.
»Nun, nun«, sagte eine kräftige Stimme, »was haben wir denn da?«
Alle fuhren herum, und alle drei Hexer verneigten sich. Tukath bedeckte seine Lupe mit einer langen Hand. Knie nieder, zischte Senta in Sorrens Gehirn. Sie fiel auf ein Knie nieder, und als sie den Kopf hob, sah sie einen hellhaarigen Mann mit breiten Schultern, der sie flüchtig betrachtete. Er trug ein langes weißes Gewand. Eine weiße Perle baumelte an einer Kette um seinen Hals.
»Wer ist das?« fragte er.
»Eine Dienerin aus dem Hause der Arré Med«, sagte Senta. »Sie brachte uns einen Satz Glückskarten. Da sie weiß, daß sie ni'chea sind, wünscht sie sie uns zu übergeben.« Gib sie mir, sagte Sentas Stimme. Laß sie bei mir, und ich werde sie dir wieder zustellen lassen.
»Eine Dienerin von Arré Med? Wie überaus praktisch«, sagte der Mann. »Erheb dich, Mädchen!«
Sorren stand auf und reichte Senta die Karten.
»Du siehst einigermaßen intelligent aus«, sagte der Mann. »Ist es dir möglich, dir eine einfache Botschaft zu merken?«
Sein Ton bewirkte, daß sich die Muskeln in Sorrens Nacken verkrampften. »Ja, mein Lord und Herr«, sagte sie, obwohl sie wußte, daß man Hexer nicht als »Lord und Herr« anredete, und weil sie nicht wußte, wie sie ihn sonst titulieren sollte.
»Ich bin der L'hel, Mädchen. Und ich habe eine Botschaft an deine Gebieterin. Sag ihr, daß unser Krieg nicht vorbei ist und daß sie nur ein Scharmützel gewonnen hat. Wiederhole das!« Sorren tat es. »Gut. Sage ihr außerdem, daß es stets sehr bedauerlich ist, wenn es Tote gibt. Doch ist es nicht immer möglich, sich die richtigen Werkzeuge zu wählen.«
Sie wiederholte es.
»Ausgezeichnet«, sagte der L'hel. Er streifte die restlichen Hexer mit einem Blick. »Lehi, es sind Heilungen vorzunehmen, man wird deine Dienste brauchen.«
»Ja, L'hel«, sagte Senta. Ihre bezaubernde Stimme klang demütig. Der Mann machte kehrt und verschwand. Die drei Hexer tauschten Blicke aus. Sorren lehnte gegen den Tisch. Marti Hok hatte gesagt, der L'hel sei käuflich. Sorren wußte nicht genau, was das bedeutete, aber es klang irgendwie grausam.
Senta legte ihr die Hand auf den Arm. »Ich bring dich hinaus, Sorren«, sagte sie. »Laß mich vorläufig die Karten behalten, vielleicht will er sie später sehen, und ich kann nicht
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