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Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden

Titel: Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth A. Lynn
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Holzspan.
    »Awuu!« Wieder dieser Laut. Er kam von Süden.
    »Das sind die Fischerboote«, sagte ein Mann. Er hockte im Schatten, den der Steig warf. Sorren beschattete die Augen. Etwa zwanzig Menschen saßen den Steig entlang da. »Die salutieren ihre neue Schwester.« Er wandte den Kopf ab, räusperte sich und spuckte in den Sand.
    »Ist die ganze Mannschaft schon an Bord?« fragte sie.
    »Jaha. Kennste wen?«
    Sie nickte. Er fuhr mit dem Daumen in Richtung auf die anderen, die da hockten. »Die da auch. Und ich auch.«
    Die Flut stieg höher um den weißen Schiffsleib. Sorren setzte sich neben den freundlichen Mann in den Modder. Er roch nach Fisch. Sie lauschte den Leuten, die Geschichten über den Bau des Schiffes erzählten, über den Kapitän. Der Kapitän trug den Namen Ruth-no-Tania, und sie war westlich von der Stadt erzogen worden, in einem Fischerdorf, und war als Decksjunge, Maat und dann als Skipper sechzehn Jahre lang zur See gefahren. Sie war einer der renommiertesten Schiffsführer in Kendra-im-Delta, und als Edith Idara mit der Idee des Schiffs geschwängert wurde, hatte sie sich zuerst, vor allen anderen, an Ruth-no-Tania gewendet.
    »Wie alt ist sie?« fragte Sorren und stellte sich eine starke magere Frau mit eisengrauem Haar vor.
    Der Fischersmann lehnte sich wieder zur Seite, um auszuspucken, ehe er es ihr sagte. Auf seinem linken Oberschenkel hatte er ein riesiges purpurrotes Muttermal in der Form einer Hand. »Einunddreißig.«
    Immer mehr Leute kamen die Böschung herunter und ließen sich im Schatten nieder. Sorren zog die Knie an den Bauch und legte den Kopf darauf. Ein Mädchen in einem zerfledderten Hemd sagte: »Also ich glaub, sie segeln nach Westen.«
    »Nach Osten«, sagte ein anderer.
    »Nach Süden, in den Dunst.« Man stritt sich zusammenhanglos. Jemand reichte einen Wasserschlauch herum, er kam auch zu Sorren, und sie trank dankbar. Der aufdringliche Geruch ungewaschener Leiber erregte ihr Unbehagen, und sie wünschte, sie hätte etwas höher hinaufsteigen können. Hier unten würde Kadra sie niemals sehen, sie würde nie wissen, daß sie gekommen war. Sie überlegte sich, wo Norres sein mochte. Plötzlich fuhr ein Schauder durch die kleine Menschenansammlung: alle standen auf. Sorren reckte den Hals wie ein Seevogel, als die Leute ringsum zu stöhnen begannen: »Aaah!«
    »Da fährt sie hin!«
    »Sie hebt sich!«
    Die Taue zwischen den Schiffen strafften sich. Die rudernden Männer in den kleineren Booten warfen sich ins Zeug. Die Dockmannschaft begann rückwärts zu gehen und zerrte die Stützbalken von den Flanken des Schiffes ... Und plötzlich, mit einem schweren Zittern und mit großem Gespritze, glitt die Ilnalamaré ins Wasser und auf das Meer zu. Die gelbgetakelten Fischerboote ließen wieder die Muschelhörner ertönen, und die schlammige Mulde unter den Streben des Steiges hallte wider von Jubelrufen.
    Ein kleines Boot scherte an die Seite des weißen Schiffes. Vom Deck des großen Fahrzeugs baumelte ein Seil zu dem kleineren hinab. Eine Gestalt in Blau fing das Tau ein und begann, Hand über Hand, hinaufzuklettern. An den Spieren blühten die Segel auf; auch sie waren von einem Blau, das ein tiefdunkles Indigo war, fast Purpur. Der Fischer an Sorrens Seite sagte: »Die wer'n bald ausbleichen. Zwei Monate in Salz und Sonne, dann sin sie hell wie Weizen.«
    »Kadra«, flüsterte Sorren. »Sichere Fahrt dir ...« Die Worte blieben ihr im Hals stecken. Es gab ein großes Gedränge nach vorn, als die Leute auf das Loch zurannten, in dem das Schiff gelegen hatte, um kleine Holzstückchen aufzuheben, Fetzen Segeltuch, Nägel, Netzteile, alles mögliche, irgend etwas von dem neuen Schiff, ehe alles gleichfalls mit der Tide hinausflutete. Sorren rührte sich nicht vom Fleck. Der Ostwind ließ die Segel schwellen, und sie sah das weiße Schiff drehen, um die Brise einzufangen. Kurz erhaschte sie einen Blick auf etwas Geschnitztes am Bug; es war ein großer Vogel mit großem Schnabel, wie der Adler, wild und stark und gewaltig genug, um Tag und Nacht über die Welt zu fliegen. Sie hoffte, die Figur würde mächtig genug sein und das Schiff ans Land führen und dann umkehren und es sicher nach Hause zurücklenken.
    »Lebewohl«, sagte sie, mehr zu dem Schiff als zu ihrer Freundin. Zu Kadra hatte sie ihre Abschiedsworte schon gesagt. Sie erinnerte sich an die Anweisungen der Ghya, kehrte dem Menschengewimmel den Rücken und kletterte den Abhang zur Straße hinauf. Als sie sich

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