Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
Galbareth, da würde ich vor Langeweile sterben. Vielleicht nach Shirasai oder noch weiter. Es gibt noch andere Länder.«
»Anhard?« fragte Arré.
»Zu kalt.«
Er trug es mit erstaunlich guter Fassung. Vielleicht rechnete er damit, daß Cha Minto oder Ron Ismenin ihm Geld senden würden. Es war ihr gleichgültig. Sie hatte länger wachen müssen, als ihr lieb war, und ihre Augen fühlten sich wie voll Sand an, ihr Mund wie Wachs, und sie war sehr, sehr müde. »Solange du dich von Kendra-im-Delta fernhältst, ist es mir gleich, wo du hingehst. Bringt ihn fort!« Paxe trat vor und faßte ihn am Arm. Einen Augenblick lang spannten sich alle seine Muskeln, dann lächelte er, wurde ganz gelöst und ließ sich von ihr fortführen. Arré schloß die Augen. Plötzlich war es ihr unmöglich zuzusehen, wie er davonging.
Als sie die Augen wieder öffnete, stand Marti Hok in der Tür. Die alte Frau kam auf sie zugehumpelt und legte ihr die Hand aufs Haar. »Als Sorren mich heut morgen holen kam, war ich wach«, sagte sie. »Ich wache immer früh auf und liege im Bett und lausche den Vögeln und höre den Kaufleuten zu, in den Straßen auf ihrem Weg zu ihren Läden. Als Sorren mich bat, in dein Haus zu kommen, habe ich nicht gedacht, daß irgendwas nicht in Ordnung ist. Ich hab' bloß gedacht: Wie originell von Arré, eine Party am Morgen. Und ich war entzückt.«
»Und dann hat sie's dir gesagt.«
»Dann hat sie's mir gesagt«, bestätigte die alte Frau. »Meine Liebe, es tut mir ja so leid.«
Arré nickte. Sie griff nach dem Glöckchen und klingelte Lalith. Aber Sorren kam herein. »Sag Toli, er soll einen zweiten Sessel bringen!« Sie stand auf. »Setz du dich, Marti, du bist älter.«
»Aber ich vermute, du bist die müdere von uns beiden«, sagte Marti. Dennoch setzte sie sich. Toli, die Augen noch schlafverkrustet, brachte einen der Sessel aus dem Großen Salon. Arré ließ sich darin nieder.
»Möchtest du Tee?« fragte sie.
»Ja, gern.«
Arré klingelte erneut. Sorren kam mit halbgeflochtenem Haar herein. »Bring uns Tee, Kind.«
Der Tee wurde serviert, und sie saßen da und schlürften ihn. Arré gähnte. Marti fragte: »Was möchtest du, soll ich tun, Arré?«
Arré antwortete: »Zweierlei. Ich möchte, daß du mir hilfst, die Unterschriften der Räte für ein Verbannungsurteil für meinen Bruder zu bekommen.«
Marti seufzte. »Hast du mit ihm gesprochen? Was sagt er?«
»Er zeigt keine Reue.«
Marti schüttelte den Kopf, nicht als Verneinung, sondern besorgt. »Natürlich werde ich dir helfen. Was wird mit Myra und den Kindern?«
»Ich werde Myra die Weingärten übertragen. Riat bleibt mein Erbe.«
»Ich stimme dir zu«, sagte Marti. »Was ist das zweite?«
»Ich möchte, daß du anwesend bist, wenn ich mit Ron Ismenin spreche.«
Marti fragte langsam: »Hat er etwa davon gewußt?«
Arré antwortete: »Er hat dafür bezahlt. Aber Isak sagt, er hat nicht gewußt, wofür er bezahlte.«
Marti schnaubte: »Ron Ismenin ist zwar dumm, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß er für was bezahlt hat, ohne zu wissen, was es war.«
»Ich auch nicht«, sagte Arré. »Aber nur er und Isak kennen die Wahrheit.«
Grimmig sagte Marti: »Es wird mir ein Vergnügen sein dabeizusein, wenn du mit ihm redest.«
Sorren klopfte an der Türfüllung. Arré blickte auf. »Ja, komm herein, Kind!« sagte sie.
»Sie ist kein Kind mehr«, sagte Marti bewundernd. »Sie ist eine Frau.«
Das hochgewachsene Mädchen trat ein. Ihr Zopf war nun zu einem Nest um den Kopf gelegt und wurde von dem Kamm aus Lapislazuli gehalten. Ihre Augen waren gerötet, und Arré fragte sich, ob sie vielleicht über Isak Tränen vergossen habe. Sorren fiel vor Marti auf ein Knie nieder und wandte sich dann Arré zu. »Darf ich zu den Docks runtergehen?« bat sie.
»Zu den Docks? Aber warum denn?«
»Das Schiff segelt heut ab, und ich habe einem Freund versprochen, daß ich an den Strand komme, wenn es abfährt. Mein Freund – sie ist auf dem Schiff.«
»Ein Schiff? Oh, das Isara-Schiff. Wer ist diese Freundin?«
»Sie heißt Kadra. Sie ist eine Kartenzeichnerin.«
Die Erinnerung an das Schiff der Isaras ließ Arré an den L'hel denken. War es möglich, daß er etwas von dem Mordkomplott gewußt hatte? Und konnte Kim Batto etwas gewußt haben? Vielleicht ergab sich eine Möglichkeit, Senta-no-Jorith darüber zu befragen. Sie blickte finster auf den Fußboden, sah wieder hoch und merkte, daß Sorren geduldig auf ihre Antwort
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