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Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden

Titel: Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth A. Lynn
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Vielleicht schwebte ihre Seele noch zögernd hier im Raum und konnte sie hören. »Flieg mit dem Schiff und bring es uns heim!«
    Sie trat an das Gestell, das Norres ihr gewiesen hatte. Dort lag ein Lederetui, wie ein Flötenfutteral, nur sehr viel länger. Sie öffnete es. Es lagen ihr Bogen und zehn Pfeile darin. Neben dem Etui lag der Silberflakon, das gebogene Messer und, ganz kleingefaltet, der zerschlissene, flickenbesetzte Mantel der Botin.
    Sie nahm den Bogenkasten vom Bord. Das Leder war weich und geschmeidig wie Tuch. Es war mit Intarsien aus Blumenmustern geschmückt. Sie zögerte, dann nahm sie auch das Messer mit seiner Scheide und die Flasche. Dann hob sie den Mantel herunter, schüttelte ihn aus und wickelte den Flakon und das Messer hinein. Keiner würde sie wegen dieses Mantels anhalten. Und wenn irgendein Wachsoldat sie fragte, was in dem Futteral sei, würde sie sagen, sie bringe es für Paxe zum Hügel.
    Sie nahm die Bogenhülle und den Mantel in beide Arme und ging in den Schankraum. Die Tür ließ sie halboffen, wie sie sie vorgefunden hatte.
    Norres schrubbte die Tische. Sie sah Sorren und nickte. »Die hat gesagt, du gehst in den Norden«, sagte sie. »Ich wünsch dir eine sichere Fahrt.«
    »Ich danke dir«, sagte Sorren. Sie zögerte einen Augenblick lang, dann trat sie auf die Straße. Der Wind fegte rasselnd die kleinen Steinchen über die Pflastersteine. Sie schaute zum Meer hinaus – da zog das Schiff davon, klein jetzt wie ein Kinderspielzeug, und segelte in den Süden.
    Als sie durch den Hof vor dem Haus kam, sah sie, daß Marti Hoks Sänfte verschwunden war. Eine andere Sänfte mit blauen und roten Wimpeln an den Stangen ruhte im Straßenstaub. Der Wächter am Tor schälte sich eine Kavafrucht. Die grüne Rinde wand sich um seinen Unterarm wie bei Tani ihre zahme Schlange.
    Sie trat zu dem Posten. »Wem gehört die Sänfte?« fragte sie.
    »Myra Ishem Med«, antwortete er. »Sie besucht ihren Mann.«
    »Ist die Hofmeisterin in der Nähe?«
    »In ihrem Häuschen. Hauptmann Ivor hat das Kommando.« Der Posten hatte den übermäßig wachen Blick eines Mannes, der zu lange nicht geschlafen hat. Sorren fragte sich, ob sie alle so aussahen. Sie knetete ihre Finger und ging dabei auf die Hütte zu. Sie hoffte insgeheim, daß Paxe sich schlafen gelegt haben möge.
    Sehr vorsichtig schob sie die Tür auf. Das Sonnenlicht schimmerte auf den Strohmatten. Die Kissen lagen in wohlgeordneten Stapeln. Neben der Truhe lag ein öliger Lappen, so wie Paxe ihn fallengelassen hatte. Sorren legte den Mantel und das Bogenetui daneben. Aus der Küche hörte sie ein Plumpsen; die einäugige Katze kam ins Zimmer geschlendert und kreiste langsam an sie heran, um sich den Kopf an ihrem Bein zu reiben. Sie streichelte das Tier und lauschte. Nach einer Weile hörte sie Paxes Atem und das leise, immer wieder unterbrochene Schnarchen.
    Sie hätte Paxe gern von Kadra erzählt – aber nein, nicht jetzt; jetzt noch nicht. Sie fuhr noch einmal streichelnd der Katze über den Kopf. Behutsam und leise verließ sie das Häuschen und ging hinüber und durch die Küchentür ins Herrenhaus. Der Koch war allein. »Da«, sagte er, als sie an ihm vorbeikam, und reichte ihr ein Stück Kavafrucht. Sie aß geistesabwesend, an den Schneidetisch gelehnt. Von der Vorderseite des Hauses läuteten schwach Sänfteglöckchen, und Sorren ging in den Flur, um zu sehen, wer es sei. Die Vordertür ging auf, und sie hörte eine Frauenstimme und dann das Klopfen von Marti Hoks Stock. Sie blieb unter der Tür stehen, um zu lauschen, wie die alte Frau sich durch den Gang entfernte.
    Sie aß den Fruchtschnitz auf und wischte sich die Finger an einem Lappen sauber. Als sie an der Tür zum Arbeitszimmer vorbeikam, sah sie, wie Marti Hok Arré gerade ein Stück Papier reichte. Sie verlangsamte den Schritt, um zu lauschen.
    »Kim hat unterschrieben, ohne mit der Wimper zu zucken«, sagte die alte Frau. »Irgendwas hat diesen Mann verändert; er wirkt geschlagen. Boras war empört – am meisten darüber, daß ich es wagen konnte, ihn vor dem Mittagessen zu wecken. Cha Minto wollte mich erst nicht empfangen. Als ich ihm aber sagte, was passiert ist, hat er geweint. Jedenfalls sind Tränenspuren auf dem Dokument. Eine Kopie habe ich zum Schwarzen Clan gebracht und den Schreibern gesagt, daß ich bis Sonnenuntergang so viele Abschriften haben will, daß ich sie in jedem Stadtbezirk aushängen lassen kann.«
    Also hat noch jemand um Isak Tränen

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