Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
anmutig und so wenig greifbar wie die Strahlen des Mondes. Dann erstarb dieser Anflug von Haß, und sie war nur noch verdrossen und müde. Sie spreizte die Finger. »Dann erkläre es mir!«
»Ach, vielleicht sollte ich das wirklich. Wie wäre es denn gewesen, Schwester, wenn du an meiner Stelle gewesen wärest? Aufs Land zur Verwaltung der Güter verbannt, zum Ernteaufseher verdonnert, zum Pflanzen von Kindern und Weinstöcken verurteilt – wärest du mit einem solchen Leben zufrieden gewesen, Arré?«
Ein Vogel trillerte im Garten. Jemand – Lalith? – schlich auf Zehenspitzen an der Salontür vorbei. »Ich weiß es nicht«, antwortete Arré. »Nein, ich zweifle, daß ich damit zufrieden gewesen wäre, Isak, aber ich weiß sicher, daß ich meine Aufgaben, so gut ich es gekonnt hätte, erfüllt haben würde!«
Er antwortete: »Das hab' ich auch. Und es war ein Leben wie in einem Käfig.«
Arré sagte: »Hier in der Stadt gibt es Leute, die würden für einen solchen Käfig ihre Seele verschachern!«
»Das sind Narren.« Er streckte eine Hand nach ihr aus. Paxe machte eine scharfe Bewegung. Er zog die Hand zurück. »Arré, du kannst mir doch nicht böse dafür sein, daß ich mich nach Macht und Einfluß sehnte.«
»Aber ich zürne dir dafür, daß du sie zu erlangen versucht hast, indem du mich umbringen wolltest.«
»Wenn du sie mir auf andere Art gegeben hättest, dann hätte ich – vielleicht – nicht versucht, dich beseitigen zu lassen.«
»Also gibst du es zu?«
Er zuckte die Achseln. Es war eine schöne, eine tänzerische Bewegung, die über die Hände, die Arme, den Nacken, die Schultern verlief. »Ich hab' mir sagen lassen, daß du zwei Zeugen hast.« Arré nickte. »Nun, ich bin Realist – warum sollte ich leugnen? Aber die Schuld liegt einzig und allein bei dir selber!«
Arré schüttelte den Kopf. »Isak, du wirst mich nicht dazu beschwatzen, daß ich mir selbst die Schuld an deinem Ehrgeiz gebe. Warum gibst du nicht die Schuld unseren Eltern, die mich zuerst gezeugt haben?«
»Oh, aber das tue ich!« sagte er.
Sie wollte dies nicht länger ertragen. Ihr Sessel stand an ihrem Schenkel, sie ließ sich in ihn sinken und schaute dann zu Isak hinauf. »Nun, was soll ich jetzt mit dir tun?« fragte sie.
Er lächelte. »Ich wüßte schon, was ich täte, wenn ich an deiner Stelle wäre.«
»Was?«
Er fuhr sich mit dem Daumen über die Kehle, von einem Ohr zum andern. Paxe, die Augen auf Arrés Gesicht gerichtet, nickte beifällig.
»Nein«, sagte Arré. »Ich will nicht, daß du stirbst, obwohl man mir immer wieder sagt, daß das das Beste wäre.«
Seine Augen verengten sich.
»Aber ich will dich auch nicht hier in Kendra-im-Delta haben. Du würdest nur weiter intrigieren und herumschnüffeln, deine Nase in alles stecken und mir Ärger machen.«
»Wenn ich ...«
»Mir dein Wort gebe? Ich traue deinem Wort nicht!« Sie schaute auf das Sonnenlicht, das durch die Fensterscheiben sickerte, und fragte sich, wann Marti Hok endlich käme. »Ich will, daß du hier verschwindest!«
Isak sagte: »Eine Verbannungsorder muß von jedem einzelnen Ratsmitglied unterzeichnet sein.«
»Es wird so sein. Heute bei Sonnenuntergang wird öffentlich verkündet, daß du gesetzlos bist. Du wirst deines Ranges entkleidet, und man wird dich vor die Stadttore führen. Und es ist mir gleich, in welche Richtung des Himmels du fahren wirst. Die Weingärten sind nicht länger dein Besitz; ich werde sie übergeben, wem immer ich sie anvertrauen will.«
Er schluckte. »Und Myra?« fragte er. »Und die Kinder? Sollen auch sie Gesetzlose sein?«
»Würde Myra dir denn folgen?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Warum sollte sie? Es ist ein hartes Leben – ohne Dach überm Kopf, ohne Freunde, ohne Geld. Ich will nicht, daß meine Kinder so leben müssen.«
Arré ließ die Armreifen an ihren Handgelenken klirren. Er will, daß ich Myra die Weinfelder übertrage, dachte sie. »Du weißt ja, daß es dir nicht gestattet sein wird, sie zu treffen. Wenn man dich auf Med-Gebiet ertappt, wirst du gehetzt wie ein räuberischer Wolf.«
Er lächelte. »In den Weingärten gibt es keine Wölfe, Arré. Und Myras Ambitionen sind weniger hochfliegend als die meinen. Sie zieht es vor, ihr Leben in Bequemlichkeit zu verbringen, als daß sie mir folgen würde durch Wüste und Wildnis.«
»Wohin wirst du gehen?«
Er breitete die Arme aus. »Nicht flußaufwärts. Tarn Ryth wird sich kaum mit mir belasten wollen. Und nicht in den
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