Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
es überhaupt ein Gästezimmer gab. »Ich werde dir nicht dein Zimmer wegnehmen«, sagte sie. »Wo würdest denn du schlafen?«
»Bei Kedéra.«
»Dann will ich bei ihr schlafen.« Sorren hob ihren Pack wieder auf. »Wo ist denn ihr Zimmer? Zeig es mir!«
Kedéras Zimmer lag über dem Gang und dem Meriths genau gegenüber. Die Einrichtung war ähnlich: eine Garderobe, ein Sessel, ein Tisch. Durch die offene Tür ins Schlafzimmer sah Sorren die schattenhaften Behänge eines breiten Himmelsbetts. Auf dem Tisch stand ein hoher silberner Kerzenleuchter, und Merith setzte ihre Kerze auf den Dorn. Das Licht blitzte von einem Gegenstand zurück, der auf dem Tisch lag. Sorren hob ihn auf; es war eine Silberbrosche in der Form eines Gänseblümchens. Die Berührung zahlloser Hände – über wie viele Jahre hin? fragte sich Sorren – hatte die gebogenen Blütenblätter glattgerieben wie Seide.
»Julis! Innis!« rief Merith. Sorren hörte Schritte auf der Treppe. Zwei Frauen tauchten im Gang auf und schleppten zwischen sich einen Messingkessel. Er schwang gewichtig hin und her an seinem Holzjoch. Die Frauen drehten sich seitwärts und brachten den Kessel an den Kamin. Die eine – sie war untersetzt und wirkte verschwiegen und sah aus wie Meg – kniete vor dem Kamin nieder und entzündete ein Feuer. Die Flammen faßten fauchend zu. Die andere Frau brachte Handtücher herein, eine Seifenkugel, einen hölzernen Schöpflöffel und ein flaches Porzellanbecken und setzte alles neben dem Wasserkessel ab.
Es wurde Sorren klar, daß sie, um sich zu säubern, sich nackt ausziehen, sich in das Becken stellen und das erhitzte Wasser mit der Schöpfkelle über sich würde gießen müssen.
»Juli wird hierbleiben und dir helfen«, sagte Merith. Juli grinste. Auch sie hatte helles Haar und einen blassen Teint – die Nordländerfärbung, dachte Sorren, während sie wieder einmal ihren Pack absetzte. Merith schien zu zögern, ging dann jedoch zusammen mit Innis hinaus. Sorren zog sich die Reisepelze aus, ganz langsam, denn sie wollte warten, bis der Raum sich etwas erwärmt hatte. Neben dem Kamin lag ein abgenagter Knochen, und am Knopfgriff der Garderobe hing ein Teil eines geflochtenen Zaumzeugs, und eine dünne Reitgerte lag quer über dem Sessel.
Sie konnte nicht umhin, sie mußte sehnsüchtig an die Badehäuser in Kendra-im-Delta denken. Mit einem Seufzen fegte sie die Peitsche von dem Sitz und ließ sich nieder, um sich die Stiefel von den Beinen zu schieben. Dann schälte sie sich die verschiedenen Lagen ihrer Kleidung vom Leib und stieg schließlich in das Becken. Juli hob den Deckel vom Bottich, und Dampf wölkte durch den Raum. Juli nahm die Schöpfkelle und goß ihr Wasser über den Rücken. Es rann kitzelnd über ihre Brüste und über den Bauch. Sie seifte sich überall mit der groben unparfümierten Seife ein, dann kniete sie sich in das harte Porzellanbecken und schloß die Augen. Juli spülte ihr die Seife vom Kopf. »Chea, das tut gut«, stöhnte Sorren vor Wonne, als die Hitze ihr über die wieder durchblutete, gereinigte Haut glitt.
Juli berührte sie am linken Oberarm. »Was ist das?« fragte sie.
Sorren brauchte einen Augenblick, um die Frage zu begreifen. »Das ist das Mal von einem Leibeigenenring. Ich war bis vor kurzem noch Leibeigene.«
Juli schob die Lippen vor. »Sowas machen wir hier im Norden nicht«, sagte sie. Sie klang, als mißbillige sie das alles sehr. Dann legte sie Sorren ein Handtuch über den Arm. »Tritt besser ans Feuer, sonst wirst du dich erkälten.« Sorren ging näher an den Kamin und rubbelte sich hart mit dem Handtuch ab. Die Wärme machte sie dösig. Sie griff nach ihrem Pack, sie hatte saubere Kleidung darin, tief unten am Grund, unter allen anderen Sachen, und sie hatte sie für diesen Augenblick aufbewahrt. Sie zog sie über. Juli wischte den Boden, wo Wasser vergossen worden war, und rieb den Stein trocken.
»Ich hab' nie davon gehört, daß sie sowas in Nuath haben«, merkte sie.
Sie meinte offensichtlich das Leibeigenenarmband. »Ich hab' keine Ahnung, ob ja oder nein«, sagte Sorren. Das Silberarmband, das Arré ihr geschenkt hatte, war auf den Boden ihres Reisepacks gerutscht. Sie angelte es heraus und drückte es über die Fingerknöchel. »Ich war nur auf der Durchreise in Nuath.«
»Hast du den Lord gesehen?«
»Du meinst Tarn Ryth? Ja. Ich habe eine Botschaft von ihm an deine Herrin überbracht.«
Juli nickte, daß die blonden Zöpfe flogen. »Das war sicher wegen
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