Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
Himmel gestreckten Armen im Kreis herum. »Ich hab's gewußt, daß du ihn kennst«, sagte sie. Sie hielt inne und schaute zu den Fenstern der Kemenaten, wo ein dünnes Licht durch die Läden sickerte. »Mutter will, daß ich den Dennis Ryth heirate und meine Träume vergesse. Aber ich will das nicht.«
Ihre Stimme klang klar und entschlossen. Sorren war dankbar für die Dunkelheit, die ihr Gesicht verhüllte. Ihre Gefühle kämpften miteinander wie gegenläufige Sturmböen. Sie fühlte sich gedrängt, Kedéra zu schützen – vor Tarn Ryth, vor Dennis Ryth, vor ihrer Mutter Merith – und sie wollte gleichzeitig davonlaufen, diesem Tumult entrinnen, der in ihren Knochen siedete.
»Was wird mit Tornor geschehen«, fragte sie, »wenn du Dennis Ryth nicht heiratest?«
Kedéra kreuzte die Arme über der Brust. »Meine Mutter würde mir das nie verzeihen«, sagte sie.
Das habe ich aber nicht gemeint, wollte Sorren sagen, als ihr klar wurde, daß Kedéra auf die einzige ihr mögliche Art geantwortet hatte. Sie machte sich nichts aus der Burg Tornor. Sie war nur um ihre Familie besorgt.
Langsam schlenderten sie zu den Kemenaten hinüber. Hinter der Kammertür erwartete sie der Hund Lauf. Als er Kedéra erblickte, schlug sein Schweif pochend auf den Boden, doch als Sorren eintrat, hörte das Pochen auf, seine Ohren legten sich zurück, und er stand knurrend auf. Kedéra knuffte ihm die Ohren, und das Grollen erstarb. »Er haßt es, wenn ich jemand im Bett habe«, erklärte sie.
Das Feuer im Kamin war zu Asche verglüht, es war wieder kalt im Gemach. Sorren zog sich den Mantel aus. Juli kam an die Tür und brachte ein Tuch mit zwei Ziegelsteinen. Kedéra ergriff die Kerze und ging in das Schlafgemach voraus. Sorren wollte den beiden folgen, doch der Wolfshund ließ ein dunkles Grollen tief in der Kehle vernehmen.
Sorren kniete nieder und streckte die Hand aus. »Lauf«, flüsterte sie, »ich will ihr nichts Böses tun! Sei mein Freund.« Doch der Hund wurde steif, und seine Lefzen zogen sich von den Zähnen zurück. Kedéra kam aus dem inneren Raum zurück, Juli hinter ihr her.
»Juli sagt, sie weiß, wo Kleider liegen, die dir passen«, sagte Kedéra. »Du wirst sie brauchen.« Sie zögerte. »Ich könnte dir ein Nachthemd leihen.«
Ein Hemd zum Schlafen? »Ich brauche gar keins«, sagte Sorren.
Juli verschwand und kehrte dann mit einem Eimer zurück. Am Fußende des Himmelbetts stand ein Kohlebecken auf drei hohen Beinen, und die Magd schüttete Kohle in das Feuerloch. Kedéra richtete den Zeigefinger gegen den Hund. »Lauf, Platz!« sagte sie sanft. Lauf legte den Kopf auf die Vorderpfoten und beobachtete seine Herrin mit weiten Augen. »Komm her!« sagte sie zu Sorren. Sie gingen in das Schlafgemach. Juli hatte die Kohlen im Feuerbecken angezündet, und durch das Eisengitter drang neue Wärme zu ihnen her. In einem Wandleuchter brannte eine Kerze. Der Raum war klein. In einer Ecke stand ein Waschstand mit Krug, Schüssel und Nachttopf, in einer anderen eine hohe Stange, von der strahlenförmig hölzerne Pflöcke ausgingen. Kedéra hängte ihre Jacke an einen der Pflöcke.
Juli zog die Vorhänge am Fußende des breiten Himmelbetts auf. Es stapelten sich Steppdecken darauf, und es lag so hoch über dem Fußboden, daß, wie Sorren erkennen konnte, auf der einen Seite ein paar kleine Stufen hinaufführten. Juli stapfte um das Bett herum und schüttelte die Vorhänge aus. Hoch oben in der Wand war ein Klappfenster, und Sorren konnte ein Fetzchen Himmel erkennen. In Kendra-im-Delta würden die Laternenanzünder jetzt gerade ihre Runden abgehen. Arré würde ihre Abendmahlzeit beenden. Paxe würde ... Sie verbannte diese Bilder abrupt, und war wütend auf sich selber. Sie merkte, daß sie allein im Schlafgemach war. Juli war verschwunden, und Kedéra hielt sich im vorderen Gemach auf und flüsterte auf Lauf ein.
Sorren setzte sich auf die Bettkante. Sie sank unter ihrem Gewicht ein. Sie zog sich den Mantel aus, die Stiefel und ließ alles auf den Boden fallen. Auf einmal erschien ihr die Luft im Zimmer eisigkalt. Ordentlich zog Sorren die Tunika aus, die Hosen, die Untertunika, die Socken, die Unterhosen und hängte alles an den Kleiderpfosten. Dann kletterte sie ins Bett. Sie brauchte eine Weile, bis sie die Öffnung in den Steppdecken fand. Sie schob sich nach unten, wickelte die Decken um sich, tastete mit den Zehen zur Wärme am Fuß des Bettes hin ...
»Du bist aber schnell«, sagte Kedéra. Sorren lugte aus
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