Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
dem Nest hervor, das sie sich in den Decken gebaut hatte. Kedéra stand neben dem Kleiderpfosten – nackt. Wo die Sonne sie nicht berührt hatte, war ihre Haut hellweiß. Feine goldene Härchen lagen flaumig wie Staub auf ihren Brüsten, verdichteten sich über dem Bauch und wurden zwischen den Schenkeln zu einem goldenen Vlies. Sie hob ein kleines Kerzenhütchen von einem Nagel an der Wand und löschte die Kerze. Nun erleuchtete nur der Schein des Kohlebeckens den Raum. Sie kam ins Bett geklettert. Sorrens Handflächen wurden feucht. Die Leinentücher raschelten, als Kedéra sich unter ihnen zurechträkelte.
»Laß ich dir zuwenig Platz?« fragte sie.
»Nein«, stammelte Sorren. Ihr Kopf war voll von dem Bild der nackten Kedéra. Sie blieb ganz still und unbeweglich auf ihrer Seite liegen.
»Gute Nacht.« Kedéra zog die Bettvorhänge zu und schloß sogar das Glimmen des Kohlebeckens aus.
Die Luft wurde schwer und bewegungslos, und es wurde sehr dunkel ...
Am nächsten Morgen schneite es. Lauf weckte sie durch sein Wimmern vor dem Bettvorhang. Kedéra sprang aus den Decken, beruhigte ihn und ging auf den Nachttopf. Sorren lauschte halb verschlafen auf die Geräusche. Sie fühlte sich steif, als sei sie völlig unausgeruht, dennoch wußte sie, sie hatte geschlafen. Doch wenn sie geträumt haben sollte – sie konnte sich nicht erinnern. Hinter den geschlossenen Vorhängen war es sehr dunkel im Bett. Sie räkelte sich, lockerte ihre Muskeln. Der Vorhang glitt beiseite, grinsend erschien Kedéra in der Öffnung. »Bist du endlich wach?« fragte sie.
»Ich bin wach.«
»Juli bringt uns gleich Tee.« Sie verschwand, und Sorren hörte, wie klappernd die Lüftung geöffnet wurde. Licht erhellte das Schlafgemach. Ein Schwall kalter Luft fiel herein, und Sorren kuschelte sich mit den Schultern tiefer in die Steppdecke. Das Licht war grau, abweisend und trübe.
Schritte erklangen im äußeren Zimmer. Sorren hörte Julis Stimme. Kedéra rief etwas mit lauterer Stimme. Der Duft frischgebackenen Brotes wehte durch die Vorhangsöffnung, und Sorren lief das Wasser im Mund zusammen. Sie achtete der Kälte nicht, hob sich auf den Ellbogen und zog den Vorhang auf ihrer Seite auf. Durch den Türbogen sah sie Juli, die ein Tablett hielt, auf dem eine Teekanne, Teebecher und ein Teller mit frischem Brot standen. Kedéra stand bei Juli, und sie trug ein rotes Kleid mit weißem Pelzbesatz, auf den Armen trug sie einen Packen, der aussah wie Kleider.
Sie drehte sich um und erblickte Sorren. Sie trat ans Bett und ließ die Kleider auf das Fußende des Bettes fallen. »Die sind für dich«, sagte sie lachend. »Einiges davon ist Männerzeug, aber nicht alles.« Sie strich über das oberste Kleidungsstück, eine Tunika aus blauem Samt. »So eine feine Arbeit.« Sie hob die Tunika hoch. Sie war am Kragen und an den Armstulpen mit schwerer Spitze besetzt, und sie roch nach Zedernholz. »Sie hat sie aus den Truhen in den Kemenaten geholt.« Sie ließ die Tunika fallen, zog die Vorhänge ganz zurück. »Nun komm und trink deinen Tee!« Sie fuhr mit dem Arm in den Kleiderhaufen und zog etwas Langes, Purpurnes hervor. »Das ist ein Kleid, glaube ich. Ja.« Sie hielt es sich vor den Leib. Es fiel ihr in weichen Falten um die Füße.
Sie lachte. »Aber dir wird es passen!« Sie ließ es oben auf die anderen Kleider fallen und ging ins äußere Zimmer zurück. Sorren kletterte vom Bett herab. Kältepusteln blühten auf ihren Armen, ihren Brüsten auf. Sie zwängte sich in das Kleid, sie sog den Zedernduft ein ... Es war Wollstoff und sehr warm.
Während sie ins andere Zimmer hinüberging, fragte sie sich, wer dieses Kleid wohl zuletzt getragen haben mochte. Juli hatte das Tablett abgesetzt und war gegangen. Im Kamin loderte ein gelbes Feuer, und Kedéra kniete davor und stocherte mit der Feuerzange darin herum. Lauf lag neben ihr. Er hob bei Sorrens Eintreten den Kopf, knurrte aber nicht.
»Ich hab' dir schon Tee eingegossen«, sagte Kedéra.
»Ich danke dir.« Sorren nahm den dampfenden Becher. Er war braun, erdfarben, genau wie der Tee. Der starke, bittere Geschmack trieb ihr Tränen in die Augen, aber die Flüssigkeit wärmte ihren Körper auf. Sie warf einen Blick zum Fensterladen, der offenstand, und sah, wie die Schneeflocken zu Boden schwebten.
Sie trat ans Fenster. Der Schnee lag wie eine glatte Decke über der Welt. Er bedeckte den Äußeren Hof, lag wie Stoff auf der Mauerkrone des Äußeren Walls ... »Schau!« sagte
Weitere Kostenlose Bücher