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Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden

Titel: Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth A. Lynn
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sollte sie Merith von dem L'hel berichten. Doch Merith war eben nicht Arré; es würde sie nur verunsichern, wenn sie etwas von dem Ehrgeiz des L'hel erführe. Sorren legte die Hände flach auf den Tisch, als könne sie Meriths Vertrauen aus dem Holz heraufbeschwören, oder aus dem Stein, oder aus der stummen Mutter Erde.
    Die Berührung mit dem Holz des Tisches ließ ihre Erinnerung zurückspulen zu einem anderen Tisch in einem anderen stillen Raum. Sie erhob sich. »Ich bin gleich zurück.« Sie trat auf den Hof hinaus. Was hatte Tukath zu ihr gesagt? Gib deine Karten für deine eigenen Ziele auf ... Sie schritt durch den wirbelnden Schnee zur Tür des Kemenatenbaus und stieg die Stufen zu Kedéras Zimmer hinauf. Sie grub das Kästchen mit den Karten aus ihrem Reisepack. Sie schloß die Augen, wartete, daß die Welt verschwämme, daß die teppichbehangenen Wände vergingen ... Doch es geschah nichts. Die Karten blieben stumm. Dies war Heimat für die Karten, diese Mauern, dieses Schweigen. Hier brauchten sie nicht zu sprechen ...
    Sie trug die Karten in den Saal hinüber. Merith und Kedéra saßen nebeneinander, die Hände verschlungen. Sie reichte ihnen das Kästchen hin. »Hier!«
    »Was willst du damit? Was soll ich damit tun?«
    »Was du magst«, sagte Sorren. »Sie sind mir hier zu nichts nütze. Verkaufe sie, wenn du das wünschest. Marti Hok aus dem Hause Hok in Kendra-im-Delta würde sie dir sicher abkaufen. Oder verkaufe sie an Tarn Ryth.« Sie setzte das Kästchen auf den Tisch. Merith machte ihre Hand frei und nahm es auf. Kedéra warf Sorren einen Blick zu, eine Frage in den Augen, und Sorren schüttelte den Kopf und hoffte nur, daß Kedéra stillbleiben möge, nichts fragen, nichts verlangen möge.
    Merith runzelte die Stirn. Dann wurde ihr Gesicht weich. Sacht hielt sie Sorren das Kästchen wieder hin. »Nein! Ich werde dies nicht annehmen. Ich weiß es zu schätzen, daß du sie mir geben willst. Aber sie sind ein Teil des Erbes von Tornor, und sie sind nicht mit dir über die ganze Welt gereist, um dann verkauft zu werden. Du hast gesagt, sie haben dir Visionen geschenkt.«
    »Sie tun es nicht mehr«, sagte Sorren.
    »Aber getan haben sie es. Vielleicht werden sie es wieder tun. Visionen sind etwas zu Außergewöhnliches, als daß man sie verkaufen dürfte. Ich würde eher ...« – sie wandte den Kopf von einer Seite zur anderen und schaute auf die Wände – »die Goldfäden aus den Wandteppichen zerren und die verkaufen. Und das werden wir möglicherweise sowieso tun müssen, wenn der Winter vorbei ist und die Händler wiederkehren.«
    Kedéra sagte: »Mutter, schreib doch an Arré Med.«
    Merith seufzte. Sie fuhr ihrer Tochter mit dem Fingerknöchel über die Wange. »Dickschädel. Die Menschen aus unserm Geschlecht waren schon immer Dickschädel.« Dann blickte sie Sorren an. »Da du ja eine Botin bist – Meg hat gesagt, du bist eine Nordländerin, und sie hat recht behalten. Wenn ich den Brief schreibe, wirst du ihn dann Arré Med bringen?«
    Kedéra blieb der Mund offenstehen. »Aber ...« Ihre Augen verfingen sich in Sorrens Augen. Ich hab' geglaubt, du willst mit mir in den Westen ziehen, sagten die Augen.
    Sorrens Herz verkrampfte sich ihr in der Brust. Sie wollte nicht. Was würde sein, wenn sie Paxe träfe? Was könnten sie einander sagen? Der Geruch des Meeres stieg geisterhaft in ihrem Hirn auf. Feucht und salzig – das Meer rief nach ihr. »Ich werde den Brief überbringen, wenn du ihn schreibst«, sagte sie. »Aber nur, wenn du keinen anderen Boten finden kannst.«
    »Das erscheint mir als angemessen«, sagte Merith. Sie schob ihren Teller von sich und stand auf. »Ich muß heut nachmittag noch weiterweben. Kedéra, hilfst du mir?«
    Kedéra sagte: »Ja. Gleich. Nachher.«
    Merith sagte: »Ich bin in der Vorratskammer und wickle Wolle.« Sie ging hinaus. Juli kam aus der Küche, um den Tisch abzuräumen. Sie pfiff vor sich hin. Sorren kannte das Lied; es war jenes Lied, das Arré nicht ertragen konnte. Ich bin ein Fremdling in einem fremden Land ... Es zwang ihre Gedanken zu Isak zurück. Und zu Kadra. Vielleicht hatte es eine tiefere Bedeutung, daß Kadra ihr den Botschaftermantel hinterlassen hatte? Vielleicht war sie dazu verdammt umherzuwandern, für andere die Fahrten zu erledigen, die Botschaften anderer zu tragen.
    Kedéra berührte sie am Arm. »Sorren?«
    Sie raffte sich auf. »Ich bin hier.« Ihr Kopf fühlte sich bleiern an. »Geh mit mir herum«, bat sie. Kedéra nickte.

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