Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
Arré.
»Ich weiß. Aber ich habe nicht gedacht.«
»Schön. Dann denk jetzt! Was willst du sein?«
»Gibt es da überhaupt eine Wahl?« fragte Ricky. »Ich will ein Mann sein.«
Arré nickte. »Deine Mutter hat dich das gleiche gefragt?«
»Ja.«
»Und was hast du ihr geantwortet?«
»Was ich soeben dir gesagt habe.«
»Was hat sie dazu gesagt?«
Wieder fuhr sich Ricky mit der Zunge über die Lippen. »Sie hat gesagt, daß ich hierherkommen soll, es dir sagen, und daß ich dann tun soll, was immer du mir befiehlst.«
»Sehr gut«, sagte Arré und schwang ihren Löffel. »Ich will, daß du in die Weinfelder gehst. Du kannst morgen aufbrechen. Ich werde dir ein Begleitschreiben mitgeben. Das überbringst du Myra-no-Ivrénia Med, und du wirst tun, was sie dir aufträgt, selbst wenn es Arbeit im Weingarten sein sollte.« Sie hielt wartend inne. Ricard nickte. »Da wir den Erntemond haben, wird es möglicherweise der Fall sein. Du wirst deinen Lohn verdienen wie jedermann, und nach sechs Monaten wird man dir gestatten, falls du das willst, die Weingärten zu verlassen und hierher zurückzukehren, und dann werden wir weitersehen. Aber zwischen heute und dann wünsche ich von dir, daß du arbeitest, ohne zu murren. Hast du verstanden?«
»Ja, Herrin.«
»Gut. Dann geh und sage deiner Mutter auf Wiedersehen!« Sie tauchte den Löffel in ihr Sorbet. Ricard verneigte sich und ging hinaus. Die Chobataflammen zuckten im Luftzug, als die Tür sich öffnete und wieder schloß.
»Was hältst du davon?« fragte Arré.
Sorren trat wieder an ihren Platz am Kamin. »Ich glaube, es wird ihm guttun, wenn er arbeiten muß.«
Arré schaute finster drein. »Zweifellos.« Sie klopfte mit dem Löffel auf den Teller. »Aber das habe ich nicht gemeint. Wird Paxe mir böse sein, weil ich ihn fortschicke?«
Sorren dachte darüber nach. Der Gedanke war ihr nicht gekommen, daß Paxe wünschen mochte, Ricky solle fortgehen, und daß sie dennoch darüber böse sein könnte. »Ich glaube es nicht«, sagte sie. »Sie hat es nicht selbst tun können. Deshalb hat sie ihn dir hergeschickt.«
7. Kapitel
Der nächste Morgen war klar und kühl. Sorren stand früh auf. Ehe sie irgend etwas anderes tat, griff sie unter ihr Kopfkissen und holte das Stück Papier von Marti Hok hervor. Arré hatte ihr den Brief abends zuvor gegeben und sie ermahnt, ihn nicht zu verlieren. Ihre Finger glitten über das feste Papier, und sie lächelte. Der Brief war noch da.
Sie zog sich an Kleidern an, was gerade bei der Hand war, und ging Arré ihr heißes Wasser bringen. Der Krug wartete bereits auf sie. Sie füllte ihn aus der Röhre und schleppte ihn dann die Treppe hinauf. Sie trat so leise wie möglich, als sie das Schlafzimmer betrat, Arrés Schüssel füllte und den leergewordenen Krug neben den Waschtisch stellte. Arré stieß mit den Beinen unter der Steppdecke, murmelte etwas Unverständliches, erwachte jedoch nicht.
In der Küche stieß Sorren auf Lalith, die Fischkuchen zerhackte. »Heute mußt du die Einkäufe übernehmen«, sagte Sorren zu ihr.
»Was?« Laliths Zöpfchen zitterten. »Wieso?«
»Weil ich zu Marti Hok gehe.«
»Schau, schau, unsere feine Lady«, rief Toli höhnisch. »Du hast Ruß am Hemd. Willst du etwa so gehen?«
Sorren zeigte ihm das Mondzeichen. »Nein. Und, Lalli, es ist ganz leicht. Du kennst die Geschäfte alle, ich hab' sie dir gezeigt. Du sagst es einfach den Gehilfen, und sie schicken dann alles herauf.«
»Brauche ich ein Geldband?« fragte Lalith.
»Nein. Sie können uns die Rechnung schicken.«
Toli sagte: »Ich komme mit dir, wenn du allein Angst hast.«
Die Dreizehnjährige bekam einen steifen Rücken und reckte sich hoch. »Ich hab' gar keine Angst. Ich kann es allein.«
Sorren ging zur Kate hinüber. Doch außer der Katze war niemand dort. Da sie glaubte, Paxe sei vielleicht im Waffenhof, ging sie dorthin und spähte durch die Stangen des Tores. Dis zeigte einem neuen Rekruten, wie man einen Pikenangriff pariert. Die Daumen im Gürtel, schaukelte Borti auf den Hacken gleich hinter dem Eingang.
Er stand auf, um mit ihr zu reden. »Hallo, Bohnenstange!« Er winkte ihr zu. »Willst du Hoppereiter machen?«
Sorren tat beleidigt. »Ich suche die Meisterin im Hof, und außerdem ist das nicht mein Name, du Tattergreis!«
»Wen rufst du einen Tattergreis, he?«
»Dein Schnauzbart ist grau«, sagte Sorren. »Und schau dich doch bloß mal an. Du wirst immer fetter!«
Er klatschte sich auf den Bauch.
Weitere Kostenlose Bücher