Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
Schwingen des Vogels schimmerten durch das Feuer in sämtlichen Regenbogenfarben.
Ach, das Ganze war töricht ... Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was die Karten bedeuteten, und es nutzte ihr gar nichts, auch wenn sie sie ewig anstarrte. Sie legte sie wieder aufeinander, ohne auf die ursprüngliche Ordnung zu achten, und verstaute sie wieder in dem Kästchen. Sie warf die Steppdecke zurück und ging ans Fenster. Der abnehmende Mond sah aus, als wolle er ins Meer hineintauchen.
Sie ertappte sich dabei, daß sie sich fast schmerzhaft nach einer ihrer Visionen sehnte. Doch zu ihrem Verdruß geschah gar nichts. Die Welt blieb ringsum fest und sicher und altvertraut. Seufzend ging sie wieder ans Bett zurück. Sie wünschte, sie hätte gewußt, wo Toli den Beutel mit dem Himmelskraut versteckt hatte. Es war zwar langweilig, allein zu rauchen, doch hätte ihr die Zauberdroge wenigstens beim Einschlafen helfen können.
Am Morgen der neuen Wacheinteilung hatte Paxe Kopfschmerzen. Sie rieb sich die pochende Schläfe. Der Schmerz war mitten in der Nacht aufgetreten und, wenn er auch ein wenig schwächer geworden war, hockte noch immer in ihrem Kopf, bohrend, sich windend wie ein nagender Wurm. Sie beruhigte sich mit dem Gedanken, daß er verschwinden werde, sobald sie damit aufhörte, müßig herumzutrödeln, und trat vors Haus. Ivor stand im Waffenhof, hatte die Hände in die Hüften gestemmt und schickte ihr ein fröhliches Grinsen entgegen. Sie bedeutete ihm mit einem Kopfnicken, näherzukommen, und er kam glückstrahlend herangeeilt.
»Hofmeisterin, ich danke dir, daß du mich für diese Wache eingeteilt hast. Ich werde mein Bestes tun, das verspreche ich dir.«
»Das weiß ich, daß du das tun wirst«, sagte Paxe. »Ach, und laß dich von Borti nicht herumschubsen, er wird das nämlich versuchen.«
»Das wird er nicht.«
»Aber versuch auch nicht, alles selber zu tun. Die Tageswache ist anstrengend, weil man auf eine Menge achten muß, aber ich hätte dich nicht dafür eingeteilt, wenn ich nicht Vertrauen zu deinem gesunden Menschenverstand und zu deinen Fähigkeiten hätte.«
Ivors Augen leuchteten bei diesen Worten. »Ich danke dir.«
»Hast du die Inspektionsrunden schon gemacht?«
»Ich wollte gerade anfangen.«
»Wenn du zum Tor kommst, sag Sereth, sie sollen die Schwerter, die wir beschlagnahmt haben, auf einen Wagen laden und hier abliefern. Arré Med will, daß sie im Waffenschuppen untergebracht werden.«
»Ich werde es tun.«
»Ist das Schloß schon ausgewechselt?«
»Der Schlosser kommt heute nachmittag.«
»Gut.« Ihre Schläfe hämmerte, und sie kämpfte gegen das Verlangen an, sie zu reiben. »Ich seh dich dann später noch.«
Er verneigte sich und marschierte flott durch das Tor des Waffenhofes davon.
Sie schlug den kürzesten Weg zum Hok-Viertel ein. Als sie am Tanjo vorbeikam, merkte sie, daß sich ihre Muskeln vor innerer Spannung verkrampften. Sie schüttelte kräftig die Arme, um die Verspannung zu lösen. Die Wachen des Tempelbezirks verneigten sich vor ihr. Im Hok-Bezirk herrschte geschäftiges Treiben: die Straßen waren verstopft von Karren und Menschen, die es alle eilig hatten und die einander zubrüllten. Sobald sie Paxe erblickten, machten sie ihr stumm und hastig Platz. Sie ging zu Perrits Werkstatt. Der alte Mann zeigte im hinteren Bereich der Werkstatt einem Lehrlingsmädchen, wie man mit einem Hammer umgeht. »Fiehste die Markierung?« sagte er und wies auf ein Brett, das auf zwei Sägeböcken lag. »Wir nennen fie Eulenaugen. Fie kommen, wenn du den Hammer fu locker oder fu feft hälft.« Er nahm den Hammer auf und schlug den Nagel sauber ein. »Der Hammer fpringt, wenn du ihn fu feft anfaft. Wenn ich fuflage, dann treff ich nur den Nagel. Bei mir hüpft der Hammer nich' fort.« Er gab dem Lehrling den Hammer. »Verfuchf mal.«
Paxe unterbrach die Unterweisung. »Perrit, ich muß dringend mit dir reden.«
Er runzelte die Stirn. »Blof 'n Moment, Hofmeifterin.«
»Nein, sofort!«
»Alfo, verfuchf«, sagte er zu dem Mädchen. »Ich bin gleich zurück.« Immer noch mit finsterem Blick trat er zu Paxe. »Waf if lof?«
»Ich brauche diese sejis!«
»Kann ich nich fo fnell faffen!« Er schüttelte den Kopf.
»Doppelte Bezahlung?«
Er legte den Kopf schief und schaute sie an. Sie sah, wie die Frage in ihm arbeitete. »Stell keine Fragen!« sagte sie. »Es ist besser, wenn du nichts weißt. Also, wie bald kann ich sie haben?«
»In fehn Tagen. Früher gehf
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